
E-Rechnung: Bürokratische Pflicht oder transformative Chance?
Seit 1. Januar 2025 sind deutsche Unternehmen verpflichtet, im inländischen B2B-Bereich elektronische Rechnungen empfangen zu können. Für den Versand der E-Rechnungen gilt eine Übergangsregelung bis Ende 2027. Der damit einhergehende Transformationsprozess stellt sowohl Unternehmen als auch Wirtschaftsprüfer*innen vor Herausforderungen.
Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Wachstumschancengesetz vom 27. März 2024 die Einführung der E-Rechnungspflicht beschlossen. Sie gilt ab Januar dieses Jahres für alle Unternehmen im Inlandsgeschäft mit Business-Kunden. Die damit verbundenen Änderungen im Umsatzsteuergesetz sollen die Digitalisierung und Automatisierung der Geschäftsprozesse hiesiger Unternehmen vorantreiben. Die Idee geht auf die Umsatzsteuerreform der Europäischen Union (VAT in the Digital Age, ViDA) zurück: die Modernisierung des europäischen Mehrwertsteuersystems inklusive der Meldung von Steuerdaten in Echtzeit an die Steuerbehörden (sog. Digital Realtime Reporting, DRR) und damit die Bekämpfung von Steuerbetrug.
Rechnung neu definiert: Wann ist eine Rechnung eine (echte) E-Rechnung?
Digital ist nicht gleich digital: Bis dato galt eine Rechnung als elektronisch, wenn das ausstellende Unternehmen ein elektronisches Format gewählt hat, z.B. ein PDF oder eine E-Mail. Jetzt versteht der Gesetzgeber darunter eine Rechnung, die in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt, übermittelt und empfangen wird und eine elektronische (Weiter-)Verarbeitung ermöglicht. Es muss sich konkret um ein maschinenlesbares Dateiformat handeln, z. B. XML, das der Rechnungsnorm DIN EN 16931 entspricht. Dies stellt sicher, dass Rechnungen einheitlich, konsistent und grenzüberschreitend kompatibel sind. Damit ist nicht nur mit Papierrechnungen und Rechnungen in anderen elektronischen Formaten langfristig Schluss. Auch Unternehmen, die bereits digital unterwegs sind und ihre Rechnungen im Rahmen des Electronic Data Interchange (EDI) verschicken, müssen umdenken. Denn EDIs sind ab 2028 nur noch dann erlaubt, wenn sie die richtige und vollständige Datenextraktion in ein Format ermöglichen, das der oben genannten Norm entspricht oder mit dieser interoperabel ist. Um den Anforderungen des Gesetzgebers gerecht zu werden, müssen Unternehmen auf Formate wie „XRechnung“ und „ZUGFeRD“ (ab 2.0) zurückgreifen.
Stufenweise Einführung der E-Rechnungspflicht
Obwohl die E-Rechnungspflicht bereits rechtskräftig ist, wird sie de facto in mehreren Stufen etabliert. So gilt ab 2025 zunächst, dass jedes Unternehmen die technische Empfangsbereitschaft für E-Rechnungen sicherstellen muss. Das ist schon deshalb notwendig, weil hiesige Unternehmen seit diesem Jahr E-Rechnungen ohne vorherige Zustimmung des Empfängers versenden dürfen. Sonstige Rechnungen, d. h. Papierrechnungen und nicht-strukturierte elektronische Formate wie PDF oder E-Mail, bleiben wiederum noch bis Ende 2026 erlaubt. Voraussetzung für den Einsatz der nicht-strukturierten elektronischen Formate ist die Zustimmung des Empfängers. Unternehmen, die mit ihrem Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 800.000 Euro nicht überschritten haben, dürfen darüber hinaus noch bis Ende 2027 herkömmliche Rechnungsformate ausstellen; das EDI-Verfahren im heutigen Format kann – vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers – bis dahin auch ungeachtet dieser Schwelle verwendet werden.
Trotz des Stufenplans: Schnelles Handeln ist gefragt
Die Implementierung eines elektronischen Rechnungssystems hat für viele Unternehmen transformativen Charakter. Eingangsseitig stehen sie vor der Herausforderung, die notwendigen technischen Voraussetzungen für den Empfang und die Verarbeitung von E-Rechnungen sicherzustellen. Dafür eignet sich ein einfaches E-Mail-Postfach, eine Datenaustauschplattform oder eine elektronische Schnittstelle. Bei der Verarbeitung ist es zuallererst wichtig, dass die Unternehmen ihre Rechnungsdatensätze lesbar für das menschliche Auge machen können. Hierzu empfiehlt sich der Einsatz separater Software-Tools, sogenannte „Viewer“. Oder die Unternehmen nutzen eine Buchhaltungssoftware, in der bereits eine Visualisierungsfunktion integriert ist.
Im Zuge der Transformation müssen die Unternehmen auch ihre Verfahren zur Rechnungsprüfung und -genehmigung an die Verwendung von E-Rechnungen anpassen oder neu implementieren. Dabei müssen sie die Integrität der E-Rechnung sicherstellen, d. h. dass die Rechnung echt ist, vom richtigen Absender stammt und nach ihrer Erstellung und während der Übertragung und Speicherung nicht verändert wurde. Die Unternehmen sollten auch frühzeitig ihre Prozesse zur Verbuchung der Rechnungsdaten klären. Natürlich können die Daten weiterhin händisch in ihr Buchhaltungssystem eingegeben werden. Die effizientere Lösung wäre aber, den Prozess zu automatisieren. Die empfangenen Informationen werden dann durch die genutzte Software den erforderlichen Datenfeldern zugeordnet und automatisch verbucht.
Die Übergangsfristen zur verpflichtenden Erstellung von E-Rechnungen sollten die Unternehmen nicht dazu verleiten, die entsprechenden Prozessumstellungen auf die lange Bank zu schieben. Stattdessen ist es ratsam, auch den Rechnungsausgang zeitnah auf die E-Rechnung umzustellen. Vor allem Unternehmen, die noch über keine Möglichkeit zur Ausstellung von E-Rechnungen verfügen, sollten sich Gedanken über eine passende Softwarelösung machen. Diese sollte in jedem Fall die Konformität mit DIN EN 16931 sicherstellen. Weitere To-dos sind die Einrichtung geeigneter Übermittlungswege und die Etablierung einer passenden Verknüpfung zur Buchhaltung.
Die Unternehmen müssen ihre E-Rechnungen über einen Zeitraum von acht Jahren so archivieren, dass sie von der Finanzverwaltung jederzeit maschinell ausgewertet und leicht nachvollzogen werden können. Während dieser Zeit muss mindestens der strukturierte Teil unveränderbar in seiner ursprünglichen Form vorliegen. Gleichzeitig müssen die Unternehmen die Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit und Integrität der E-Rechnung gewährleisten.
Abschlussprüfung: Mit den richtigen Fragen zum objektiven Bild
Die Umstellung auf elektronische Rechnungssysteme führt fast zwangsläufig zu neuen Abläufen und Prozessen in den Unternehmen. Für Prüfer*innen ist es daher von zentraler Bedeutung, ein Verständnis dieser neuen Prozesse zu entwickeln. Ein solches Verständnis stellt eine Grundvoraussetzung für ein effektives, effizientes und qualitativ hochwertiges Audit dar. Es ermöglicht den Prüfer*innen, Risiken fundiert zu beurteilen, geeignete Prüfungshandlungen zu planen und durchzuführen und letztlich eine verlässliche Aussage über die Ordnungsmäßigkeit der Finanzberichte zu treffen.
Es kann für die Prüfer*innen hilfreich sein, sich frühzeitig in den Umstellungsprozess einbinden zu lassen. Auf diese Weise entwickeln sie ein besseres Verständnis der Auswirkungen begleitender Change-Prozesse und können dem Mandanten gezielt die richtigen Fragen stellen.
So müssen Prozessverständnis und -dokumentation rund um Einkauf und Verkauf aktualisiert und neu bewertet werden. Die Fragen dazu wären beispielsweise: Inwiefern hat sich der Transformationsprozess auf das Bestellsystem oder die Prozesse des Rechnungsein- und ausgangs ausgewirkt? Welche Modifizierungen haben sich im Hinblick auf die Archivierung der Rechnungen ergeben? Wie werden Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit und Integrität der Rechnungen sichergestellt? Und wer ist für die kontinuierliche Aktualisierung der Prozesse verantwortlich? Zusätzlich ist es notwendig, dass die Auswirkungen auf die bestehende IT-Landschaft, insbesondere mit Blick auf Schnittstellen und Datenfluss und gegebenenfalls unter enger Einbindung der IT-Abteilung, erfasst und dokumentiert werden: Wie stellt der Mandant die übergreifende Kompatibilität der Daten sicher, wenn diese ihren Weg durch unterschiedliche Systeme nehmen? Wie finden die Daten ihren Weg in die Finanzbuchhaltung?
Mit Blick auf den Jahresabschlusserstellungsprozess sollte geklärt werden, inwiefern sich dieser durch die Rechnungsumstellung geändert hat. Denn nur, wenn sich selbst kleinere prozessuale Verästelungen nachvollziehen lassen, können die Erstellung des Jahresabschlusses und die damit verbundenen Kontrollen nachvollzogen werden. Dies wiederum ist Voraussetzung, um mit hinreichender Sicherheit beurteilen zu können, ob der Abschluss als Ganzes frei von wesentlichen falschen Darstellungen ist – und somit ein uneingeschränktes Testat verdient.
Wichtig in allen Bereichen: Kontrollen und ihre Wirksamkeitsprüfung
Durch die Umstellung auf die E-Rechnung und die Einführung neuer digitaler Strukturen verarbeitet der Mandant plötzlich große Mengen an Rechnungsdaten automatisiert. Das zieht die Frage nach sich, mit welchen Kontrollmechanismen der Mandant diesen Prozess begleitet. Um eine adäquate Antwort zu finden, müssen die Prüfer*innen zuallererst die Verantwortlichkeiten klären: Wer prüft die Rechnungen, gibt sie frei oder darf sie buchen? Wichtig ist auch, zu erörtern, welche neuen Kontrollverfahren im Rahmen der Umstellung implementiert wurden, etwa bei der Prüfung eingehender Rechnungsdaten. Es schließt sich die Frage an, inwieweit die Prüfer*innen die neuen Internen Kontrollsysteme (IKS) im Hinblick auf ihre Wirksamkeit testen sollten. Eine entsprechende Überprüfung ist insbesondere dann zu begrüßen, wenn der Mandant die IKS gerade erst eingeführt hat. Vor allem eine Aufbau- und Funktionsprüfung der Kontrollen des IT-Umfelds kann Sicherheit geben.
Kontrollen sind wichtig, um sicher sein zu können, dass auch tatsächlich alle ein- und ausgegangenen Rechnungen erfasst wurden und somit keine Buchungslücken entstanden sind. Die Prüfer*innen sollten sich über den Stand der entsprechenden Verfahren unbedingt in Kenntnis setzen lassen.
Fazit: Mandanten sollten Pflicht als Chance begreifen
Für viele Unternehmen wird die Umstellung ihrer Systeme auf elektronische Rechnungen einen großen Aufwand bedeuten. Dabei sollte niemand erwarten, dass von Tag eins an alles reibungslos läuft. Wie bei jeder neuen Lösung wird auch diese ihre „Kinderkrankheiten“ mit sich bringen. Eine Hürde könnte etwa in unterschiedlichen Systemlösungen von Rechnungsaussteller und -empfänger liegen, doch Kompatibilitätsprobleme wie diese werden sich beheben lassen.
Mittelfristig dürften sich daher die mit dem Wachstumschancengesetz intendierten Modernisierungseffekte einstellen: Die digitale Transformation der Finanzbuchhaltung wird vielfach effizienter sein, allen voran durch die Vermeidung von Fehlern und die schnelleren Bearbeitungszeiten, welche die Automatisierung mit sich bringt. Durch die rechtzeitige Einbindung von Wirtschaftsprüfer*innen dürften sich auch die Effizienz und Qualität der nächsten Abschlussprüfung erhöhen. Dann würde aus dem staatlichen „Transformations-Zwang“ tatsächlich ein Win-Win erwachsen.
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