Nachhaltigkeit: Wie berichtet der Mittelstand?

Reform & Debatte
2. September 2025

Viele mittelständische Unternehmen sind erleichtert: Durch die neuen Schwellenwerte fallen sie aus der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung heraus. Doch die Informationsanforderungen werden trotzdem kommen – von Geschäftskunden, Banken und Investoren. Der VSME-Standard könnte helfen, Anforderungen zu erfüllen und Ressourcen zu schonen.

Im Rahmen ihrer „Omnibus-Initiative“ hat die EU-Kommission im Februar 2025 weitreichende Änderungen bei den Regularien vorgeschlagen, welche die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen bestimmen. Auch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) soll demnach in einigen zentralen Punkten angepasst werden. Ziel der Reform: Bei der verpflichtenden Berichterstattung soll der Fokus auf den wirklich großen Unternehmen liegen.

Geht es nach der EU-Kommission, soll die Pflicht zur ESG-Berichterstattung künftig nur noch für große Unternehmen und Gruppen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen gelten. Darüber hinaus bringt der EU-Rat einen zusätzlichen Umsatzschwellenwert von 450 Millionen Euro ins Spiel. Beschlossen sind die neuen Schwellenwerte noch nicht – eine politische Einigung zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament steht aktuell noch aus.

Was jetzt schon feststeht: Für viele Mittelständler bedeuten die neuen Schwellenwerte zunächst eine Entlastung von einer gesetzlichen Berichtspflicht. Gleichwohl dürfte sich dadurch nichts daran ändern, dass das Interesse an ESG-Themen aus den Unternehmen nicht nur weiterhin hoch bleibt – vonseiten der Geschäftspartner dürfte es sogar steigen.

Der „Trickle-Down-Effekt“: Wenn Stakeholder zu viele Fragen stellen

Doch warum fragen Geschäftskunden, Lieferanten oder Banken vermehrt auch ESG-Informationen von mittelständischen Unternehmen ab? Ein wesentlicher Grund dafür sind ihre eigenen Verpflichtungen. Müssen sie beispielsweise auf Basis der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) berichten, brauchen sie dabei auch Daten aus ihrer Wertschöpfungskette. Das bedeutet für die Mittelständler: Sie müssen eine Vielzahl an individuellen ESG-Fragebögen ausfüllen. Der „Trickle-Down-Effekt“ beschreibt das Phänomen, dass Berichtsanforderungen entlang der Wertschöpfungskette an die Zulieferer weitergereicht werden.

Für die Zulieferer – oft aus dem Mittelstand – kosten die vielen Anfragen Zeit und Geld, sie binden Personal sowie Ressourcen. Gerade in Unternehmen ohne eigene Nachhaltigkeitsabteilung sorgen sie für viel Unmut.

Der „VSME-Standard 2.0“: Wie die EU-Kommission entlasten will

Um die Unternehmen bei diesem Wildwuchs an Anfragen zu entlasten, hat die EU-Kommission am 30. Juli 2025 eine Empfehlung für einen freiwilligen Berichtsstandard abgegeben. Dieser gilt als Zwischenlösung, um das angesprochene Marktinteresse zu bedienen, bis der delegierte Rechtsakt im Rahmen der Omnibus-Initiative angenommen ist. Er ist auf einem bestehenden Standard, den die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) formuliert hat, aufgebaut: Dem Voluntary Sustainability Reporting Standard for non-listed small and medium-sized enterprises (VSME). Auf Deutsch in etwa: „Freiwilliger Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von nicht-börsennotierten kleinen und mittleren Unternehmen“. Ziel der EU-Kommission ist es, mit dem weiterentwickelten VSME einen einheitlichen Rahmen zu schaffen, der es den Unternehmen ermöglicht, ihre ESG-Daten strukturiert bereitstellen zu können. Das Reporting nach VSME findet damit freiwillig, aber nach festen Spielregeln statt.

Die EFRAG hat den VSME ursprünglich für Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen designt. Wichtig war es der EFRAG hierbei, dass der Berichtsaufwand für die Unternehmen im richtigen Verhältnis zu ihrer Größe steht. Der VSME bietet Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeiter*innen somit eine pragmatische Möglichkeit, Nachhaltigkeit sichtbar und glaubwürdig zu kommunizieren, ohne dabei den Aufwand der deutlich umfangreicheren ESRS schultern zu müssen. Drei Kriterien zeichnen den VSME aus:

  • Modularer Aufbau: Der VSME besteht aus zwei Einheiten: „Basic“ bietet Grundinformationen für die meisten Anfragen, „Comprehensive“ eignet sich für tiefergehende Anforderungen, beispielsweise von Banken oder Investoren.
  • Klarer Fokus: Statt der aufwändigen doppelten Wesentlichkeitsanalyse wie bei den ESRS reicht beim VSME das klassische Wesentlichkeitsprinzip. Es gilt das Motto: berichten, was wirklich relevant ist – und den Rest weglassen.
  • Bekanntes Format: Inhaltlich orientiert sich der Standard an der Struktur der ESRS, bleibt aber schlanker und pragmatischer.

Bei der Anpassung des VSME an seine neue Aufgabenstellung muss die EFRAG vor allem zwei Kriterien berücksichtigen: Sie muss den „VSME 2.0“ auch auf die Anforderungen der etwas größeren Unternehmen ausrichten, und sie muss die anstehende Vereinfachung der ESRS beachten.

Weniger Pflicht – mehr Schutz

Die EU will den überarbeiteten VSME-Standard als delegierten Rechtsakt aufwerten. Damit verbunden wäre die Etablierung eines Schutzmechanismus gegen übermäßige Datenabfragen: Unternehmen, die freiwillig nach dem Standard berichten, sollen nur noch Informationen liefern müssen, die im Rahmen dieses Standards verlangt werden. Datenanfragen von großen, CSRD-pflichtigen Unternehmen an ihre nicht-berichtspflichtigen Partner in der Wertschöpfungskette würden somit begrenzt. Mittelständische Unternehmen könnten damit klar sagen: „Unsere Nachhaltigkeitsinformationen stehen im VSME-Bericht – bitte dort nachlesen.“ Der „Trickle-Down-Effekt“ würde durch die sogenannte „Value Chain Cap“ gestoppt.

Warum sich freiwillige ESG-Berichte immer lohnen

Neben den Stakeholder-Anforderungen gibt es mindestens fünf weitere gute Gründe für nicht-berichtspflichtige Unternehmen, dennoch freiwillig über ESG-Themen zu reporten:

  • Finanzierungsmöglichkeiten: Kreditvergaben und Investitionen werden immer häufiger mit der Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien verknüpft. Ein freiwilliges ESG-Reporting kann diese Bedingung erfüllen und zu besseren Konditionen führen.
  • Wettbewerbsfähigkeit: Ein transparenter ESG-Bericht schafft Vertrauen bei Konsument*innen, die verstärkt auf die Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen achten.
  • Arbeitgeberattraktivität: Eine transparente Nachhaltigkeitskommunikation stärkt das Employer Branding und hilft so, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu gewinnen und langfristig zu binden.
  • Risikobewertung: Bei der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts identifizieren und bewerten die Unternehmen ihre Risiken und Chancen in Bezug auf Umwelt- und Sozialthemen. Auf dieser Basis können sie Abläufe optimieren, Kosten senken und langfristig ihre Resilienz stärken.
  • Zukunftsverpflichtungen: Durch Wachstum dürften einige nicht-berichtspflichtige Unternehmen schon bald die Schwellenwerte überschreiten und so in die Berichtspflicht fallen. Erstellen sie schon heute freiwillig einen VSME-Bericht, sind sie für die umfänglicheren Reportings von morgen besser vorbereitet.

Fazit: Der VSME-Standard ist mehr Chance als Pflicht

Der Wegfall der ESG-Berichtspflicht für viele Mittelständler bedeutet nicht, dass Informationen zu Nachhaltigkeitsthemen aus diesen Unternehmen nicht mehr gefragt sind. Um die Anfragen vonseiten der Stakeholder effizient zu managen, empfiehlt sich daher die freiwillige Berichterstattung nach dem überarbeiteten VSME-Standard. Er bietet mittelständischen Unternehmen eine sinnvolle Struktur, um Nachhaltigkeit sichtbar, nachvollziehbar und ressourcenschonend zu kommunizieren. Begreifen Mittelständler die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht als Pflicht, sondern als Chance, realisieren sie zudem strategische Vorteile für das Geschäftswachstum und ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Für weitere Themen rund um die Wirtschaftsprüfung und Forvis Mazars folgen Sie uns auch auf LinkedIn.

Kommentare

Antwort

Ihre E-Mail Adresse wid nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert*.