Zinskarussell hemmt Verbreitung der Betriebsrenten

Reform & Debatte
24. Juni 2025

Die neue Bundesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zur betrieblichen Altersvorsorge (bAV) und will deren Verbreitung ausdrücklich vorantreiben. Doch machen die aktuellen Zinsvorschriften die bAV für viele Unternehmen unattraktiv. Die bAV braucht daher eine Reform – das fordert auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW).

Das deutsche Rentensystem basiert auf einem Drei-Säulen-Modell. Zentral für die meisten der Arbeitnehmer*innen ist die gesetzliche Rente. Die betrieblichen und privaten Altersversorgungen sollen die staatliche Vorsorge ergänzen, um den gewohnten Lebensstandard auch im Ruhestand zu halten. Trotz ihrer hohen Bedeutung für die Altersvorsorge steht die gesetzliche Rente vor großen Herausforderungen. Grund ist das Umlagesystem, nach dem die arbeitende Bevölkerung die Renten für diejenigen erwirtschaftet, die sich bereits im Ruhestand befinden. Wegen der fortschreitenden Alterung der deutschen Bevölkerung kommen aber immer weniger Erwerbstätige auf immer mehr Rentner. Mit 121 Milliarden Euro sollen rund 25 Prozent des Bundeshaushalts 2025 als Zuschuss in die Rentenkasse fließen.

Vor diesem Hintergrund sollte die betriebliche Altersvorsorge als kapitalgedeckte Alternative eigentlich stetig an Bedeutung gewinnen. Doch in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Arbeitnehmer*innen mit bAV-Anspruch lediglich von 20 Millionen in 2013 auf 21 Millionen im Jahr 2023 erhöht. Von einer starken Verbreitung kann also nicht die Rede sein.

Unternehmen müssen Rückstellungen für Pensionszusagen bilden

Um zu begreifen, warum sich die bAV trotz der Schwächen der gesetzlichen Rente nicht stärker durchsetzt, muss man die Mechanismen der betrieblichen Altersvorsorge verstehen. So sind es zunächst die Unternehmen, die ihren Mitarbeiter*innen eine betriebliche Altersvorsorge ermöglichen müssen. Die Unternehmen sind verpflichtet, dafür Pensionsrückstellungen in den Bilanzen ihrer Jahresabschlüsse zu bilden. Die von Wirtschaftsprüfer*innen geprüften Jahresabschlüsse sollen dabei ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens abbilden. Das ist wichtig, weil professionelle Investoren und Gläubiger, aber auch andere Geschäftspartner*innen die Daten aus den Jahresabschlüssen als Entscheidungsgrundlage nutzen, zum Beispiel für die Gewährung von Krediten und die Planung von Investitionen.

Berechnung der Rückstellungen: Vom Zeitwert des Geldes

Was bedeutet das für die Bilanzierung von Pensionsrückstellungen? Laut Handelsgesetzbuch sind Pensionsrückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen. Beim Erfüllungsbetrag handelt es sich um die Summe, die das Unternehmen für die spätere Altersversorgung seiner Mitarbeiter voraussichtlich auszahlen muss. Die zu erwartende Höhe des Erfüllungsbetrags wird auf der Grundlage von Trendannahmen und biometrischen Sterbetafeln bestmöglich abgeschätzt.

Ein weiterer Faktor, der bei der Berechnung des Erfüllungsbetrags berücksichtigt werden muss, ist der Zeitwert des Geldes. So ist ein Euro, den man heute besitzt, mehr wert als ein Euro in zehn Jahren. Der Grund: Man könnte den Euro heute anlegen, so dass man in zehn Jahren eine gute Rendite erwirtschaftet hätte. Bei der Berechnung der Rückstellungen versucht man nun, die Höhe der zukünftigen Zahlungen auf ihren heutigen Wert zu reduzieren. Der in der Finanzmathematik gebräuchliche Terminus hierfür lautet „Abzinsung“. Die Abzinsung reduziert also den heutigen Wert der künftigen Pensionszahlungen, weil unterstellt wird, dass die Unternehmen die in den Rückstellungen gebundenen Finanzmittel investieren und daraus bis zur Auszahlung der Pensionen Erträge realisieren.

Neues Gesetz schickt Abzinsungssatz auf Berg- und Talfahrt

Bleibt die Frage, um welchen Wert die Rückstellungen in der Handelsbilanz abgezinst werden müssen? Bis 2009 war das ganz einfach: Die Pensionsrückstellungen wurden schlicht mit einem festen Satz von 6 Prozent abgezinst. Doch mit dem Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes wurde die Festlegung des Abzinsungssatzes 2009 grundlegend reformiert. Seitdem ist der Abzinsungssatz an die Entwicklung der Renditen hochwertiger Unternehmensanleihen gekoppelt und wird jeden Monat von der Deutschen Bundesbank neu ermittelt. Das führt dazu, dass der Zinssatz je nach Marktentwicklung steigen oder sinken kann. Die Folge: Bei steigenden Zinssätzen vermindert sich aufgrund der Abzinsung die Pensionsrückstellung. Umgekehrt erhöhen sich die Rückstellungen bei fallenden Zinssätzen.

Anders als in der internationalen Rechnungslegung müssen im deutschen Handelsrecht die Effekte aus den Schwankungen des Zinssatzes vollständig erfolgswirksam erfasst werden. Das führt dazu, dass Veränderungen des Zinssatzes zu Ertragsschwankungen führen, die nicht aus der eigentlichen Geschäftstätigkeit der Unternehmen resultieren. Um die Ertragslage des Unternehmens zutreffend darstellen zu können, wird daher der Zinssatz monatlich zunächst als siebenjähriger, ab 2016 dann als zehnjähriger Durchschnittssatz ermittelt. 

Dieser Glättungsmechanismus hat sich in der Praxis jedoch nicht hinreichend bewährt. In den Jahren 2016 bis 2022 hat sich der Zinssatz von 4,3 Prozent auf 1,8 Prozent vermindert. Der Rückgang des Zinssatzes hat zu einem Anstieg der Pensionsrückstellungen in den Unternehmensbilanzen von schätzungsweise rund 50 Prozent geführt. Wird das aktuelle Marktniveau zugrunde gelegt, wird sich der Zinssatz in den kommenden sieben Jahren auf etwa 3,5 Prozent erhöhen – mit der Folge, dass die Unternehmen ihre Pensionsrückstellungen wieder deutlich reduzieren werden.

Variable Zinssätze gefährden Verbreitung der Betriebsrenten

Die Schwankungen der Abzinsungssätze erschweren die nachhaltige Entwicklung der Unternehmen. So führen sie dazu, dass die Gewinne oder Verluste nicht mehr allein auf die operative Geschäftstätigkeit zurückzuführen sind. Stattdessen hängen sie mehr und mehr von den Zuführungen bzw. Auflösungen der Pensionsrückstellungen ab. Das hat die Bereitschaft vieler Unternehmen reduziert, Programme zur bAV fortzuführen oder neu aufzulegen. Die variablen Abzinsungssätze schwächen also die Anreize, Pensionszusagen zu gewähren. Sie gefährden damit das Ziel, die betriebliche Altersvorsorge zu verbreiten.

IDW fordert Einführung eines festen Zinssatzes

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat die Fehlsteuerung erkannt und forderte deshalb im September 2023 eine Reform der Abzinsungspraxis. Diese sieht die Einführung eines fixen Zinssatzes vor, der langfristige Marktentwicklungen abbildet. Er soll nur dann angepasst werden, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen grundlegend verändern. Unterstützung bekommt das IDW vom Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS). Das IVS greift in einem Positionspapier die Kritik des IDW auf und schlägt ebenfalls einen konstanten Zinssatz vor. Für angemessen erachtet das IVS demnach einen Abzinsungssatz von 3,25 Prozent für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen in der Handelsbilanz. Der vorgeschlagene Zinssatz setzt sich aus dem langfristigen Inflationsziel der Europäischen Zentralbank in Höhe von 2 Prozent im Jahr und einer nachhaltigen Realverzinsung von 1,25 Prozent im gleichen Zeitraum zusammen.

Die Vorteile eines konstanten Abzinsungssatzes liegen auf der Hand. Finanzkennzahlen werden so nicht mehr durch zinsinduzierte Schwankungen in der Pensionsrückstellung beeinflusst. Mit steigender Planungssicherheit für Unternehmen und Gläubiger erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Investitionen in die eigentlichen Kerngeschäfte. Gleichzeitig ist die Gewährung betrieblicher Altersvorsorge mit weniger bilanziellen Risiken verbunden. Das steigert die Anreize für die Unternehmen, ihren Mitarbeiter*innen eine bAV anzubieten und könnte der gewünschten Verbreitung der Betriebspensionen neuen Schub verleihen.

Fazit: Regierung sollte Festzinsvorschlag in eigenem Interesse aufgreifen

Meint es die schwarz-rote Koalition ernst mit ihrer Absicht, ebendiese Verbreitung verstärkt voranzutreiben, sollte sie darüber nachdenken, sich den Forderungen von IDW und IVS anzuschließen. Die Einführung eines konstanten Abzinsungssatzes kann einer der Bausteine sein, um die bAV populärer zu machen und in breitere Bevölkerungsschichten hineinzutragen.

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