Audit-Reform: Im Dreiklang zu mehr Prüfungsqualität in Europa

Reform & Debatte
16. April 2024

Mit einer bereits vor Jahren angekündigten Audit-Reform will die EU-Kommission Probleme bei der Marktkonzentration lösen und die Prüfungsqualität erhöhen. Im Interview erklärt der renommierte Wirtschaftsberater Professor Dr. Jens Poll, dass eine Reform drei Bereiche umfassen muss: Die Unternehmen, die Abschlussprüfer und die Aufsichtsbehörden.

Die letzte Abschlussprüfungs-Reform der EU liegt bereits zehn Jahre zurück. Immerhin scheint die EU-Kommission erkannt zu haben, dass es hier akuten Handlungsbedarf gibt. Doch kaum hat sie entsprechende Vorhaben angekündigt, ist es wieder still um die Audit-Reform geworden – wo hakt es aktuell?

Professor Dr. Jens Poll: Im Anschluss an die öffentliche Konsultation und den zusammenfassenden Bericht der EU-Kommission ist der Reformprozess seit Anfang 2022 ins Stocken geraten. Das liegt zum einen daran, dass Krisen wie COVID, der Ukraine-Krieg und die aus ihm resultierenden Energieengpässe die Agenda der EU-Kommission seitdem zunehmend bestimmt haben. Zum anderen hat die EU-Kommission der Nachhaltigkeitsberichterstattung absolute Priorität eingeräumt, was zur Folge hatte, dass der Fokus weniger auf der Audit-Reform als auf der Entwicklung von Richtlinien wie der Corporate Social Responsibility Directive, kurz CSRD, und der Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD, lag. Letztere ist ja derzeit Gegenstand auch einer innenpolitischen Diskussion in Deutschland.

Auch die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die Abschlussprüfung zu reformieren. Warum ist auch hier bisher nichts geschehen?

Was für die EU-Kommission gilt, ist gleichermaßen für die Bundesregierung der Fall. Zwar hat auch sie die Notwendigkeit einer Audit-Reform erkannt, doch haben andere Themen, wie etwa die Energiewende, die politische und gesetzgeberische Diskussion beherrscht. Im Rahmen der Umsetzung der CSRD in nationales Recht könnte der deutsche Gesetzgeber Aspekte einer Reform der Abschlussprüfung möglicherweise wieder aufgreifen.

Haftungsverschärfung des FISG verschärft auch Marktkonzentration

Vielleicht braucht es hierzulande ja auch gar keine Reform – schließlich hat der Deutsche Bundestag als Reaktion auf den Wirecard-Bilanzskandal bereits 2021 das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz, kurz FISG, verabschiedet.

Auch wenn man dem FISG zugutehalten kann, dass es in seinem umfassenden Ansatz sowohl die Unternehmen und ihre Governance als auch die Abschlussprüfer und die Aufsichtsbehörden adressiert, so bleiben doch Probleme ungelöst. Eines davon betrifft das Thema „Lack of Choice“: In bestimmten Segmenten des Prüfermarktes besteht eine hohe Konzentration auf die sogenannten Big 4-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Vor allem Unternehmen von öffentlichem Interesse sind zunehmend bei der Auswahl ihrer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, kurz WPG, eingeschränkt. Dies monieren die Unternehmen und ihre Prüfungsausschüsse und fordern mehr Wettbewerb auf dem Markt, um weiterhin eine echte Wahlmöglichkeit bei Ausschreibungsverfahren zu haben. Diesbezüglich sind die Regelungen des FISG zur verschärften Haftung aus meiner Sicht sogar als problematisch einzuschätzen.

Eine Verschärfung der Haftungsregelungen sollte doch zu mehr Sorgfalt bei der Abschlussprüfung beitragen, oder nicht?

Das FISG hat in Deutschland erstmals eine unbegrenzte Haftung bei der Prüfung von börsennotierten Unternehmen etabliert, soweit der*die Prüfer*in grob fahrlässig handelt. Und tatsächlich haben empirische Studien belegt, dass eine mögliche Haftung zur Erhöhung der Prüfungsqualität beitragen kann. Allerdings ist es wichtig, auch die jeweiligen Folgen und Zusammenhänge einer solchen Regelung zu berücksichtigen. So sind durch die verschärfte Haftung insbesondere im Bereich der Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse auch die Kosten für den Versicherungsschutz der WPG gestiegen. Auf diese Weise hat das FISG die Markteintrittsbarrieren deutlich erhöht. So haben sich zahlreiche mittelständische Prüfungsgesellschaften angesichts des Haftungsrisikos und der damit verbundenen Versicherungskosten gegen ein Engagement in diesem Marktsegment entschieden. Als Folge nimmt die Marktkonzentration hier also noch weiter zu – und die Auswahlmöglichkeiten für die betroffenen Unternehmen verringern sich. Dies erlebe ich zurzeit bei verschiedenen Ausschreibungsverfahren.

Vergangenes Jahr hat die Wirtschaftsprüferaufsichtsbehörde APAS in der Causa Wirecard entschieden, dass die verantwortliche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY für zwei Jahre keine neuen Mandate für die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse mehr annehmen darf. Was bedeutet das für die angesprochene Marktkonzentration?

Schon bevor die APAS EY den entsprechenden Bescheid Ende 2023 zugestellt hat, hat die vorab  verkündete Entscheidung der Behörde aus meiner Sicht eine faktische Sanktionierung bewirkt – wenngleich diese noch keinesfalls bestandskräftig war und EY laut Presseberichterstattung zwischenzeitlich Einspruch eingelegt hat. Ein entsprechender Reputationsschaden dürfte eingetreten sein, was auch ein Grund für die rückläufige Mandatsanzahl von EY in diesem Segment sein könnte. Gerade im Segment der Prüfung von großen Unternehmen von öffentlichem Interesse macht sich die eingeschränkte Auswahl an WPG bemerkbar. Das Problem spitzt sich zu, wenn ein Prüferwechsel nicht langfristig geplant werden kann, sondern beispielsweise durch äußere Anlässe kurzfristig erfolgen muss. Hierzu kann es beispielsweise bei Unternehmenszusammenschlüssen kommen, wenn die gleiche WPG beratend für eines der fusionierenden Unternehmen tätig ist und bei dem anderen Unternehmen die Abschlussprüfung betreut. Eine solche Konstellation würde die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer*innen gefährden.

Wie Sie erwähnt haben, gewinnt die nichtfinanzielle Berichterstattung in der EU stark an Bedeutung, etwa durch die angesprochene CSRD und andere nationale und internationale Regelwerke zum Thema Nachhaltigkeit. Wird die notwendige Prüfung dieser Berichte die Konzentration weiter verschärfen?

Diese Gefahr wird von manchen gesehen und ist auch nicht von der Hand zu weisen. Daher sollte der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der CSRD sorgfältig die Folgen der konkreten Ausgestaltung des nationalen Systems im Hinblick auf eine weitere Marktkonzentration bedenken. Die CSRD stellt für große Unternehmen umfassende Pflichten zur Berichterstattung auf und führt dadurch zu mehr Transparenz in Bezug auf Nachhaltigkeitsinformationen. Aufgrund der eingeführten Prüfungspflicht werden viele Unternehmen ihre Abschlussprüfer*innen auch mit der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung betrauen, was ich gut nachvollziehen kann. Dies dürfte aber dazu führen, dass sich die bestehende Marktkonzentration verschärft und die Eintrittsbarrieren erhöht werden.

Ist es vor dem Hintergrund der besprochenen Entwicklung vorstellbar, dass ein deutsches Unternehmen irgendwann keine geeignete WPG mehr für den Jahresabschluss findet?

Aufgrund der zunehmenden Marktkonzentration ist es durchaus denkbar, dass der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats im Rahmen von Mandatsausschreibungen vor das Problem gestellt wird, kaum mehr eine Auswahl an geeigneten WPG zu haben. In den Niederlanden und Großbritannien wird in diesem Zusammenhang bereits von sogenannten „audit orphans“ berichtet, also von Unternehmen, die keine*n Abschlussprüfer*in mehr finden. Auch hierzulande könnte es zu ähnlichen Situationen kommen, wenn geeignete Abschlussprüfer*innen beispielsweise aufgrund von fehlender Unabhängigkeit oder entsprechender Ressourcen nicht zur Verfügung stehen, weil es auch in der Wirtschaftsprüfung einen Personalmangel und einen Kampf um die besten Talente gibt. Da ist der Markt – und das sage ich auch aus meiner Erfahrung als Prüfungsausschussvorsitzender – manchmal schon sehr eng.

Prüfungen nach dem Vier-Augen-Prinzip könnten Teil der Lösung sein

Durch welche Maßnahmen ließen sich aus Ihrer Sicht die Konzentration auf dem Prüfermarkt und die damit verbundenen Probleme für die Unternehmen und ihre Stakeholder verhindern?

Die eine singuläre Lösung für dieses komplexe Problem gibt es nicht. Stattdessen ist eine Vielzahl von Maßnahmen nötig, um ein zufriedenstellendes Ergebnis für alle Marktteilnehmer zu erreichen. Hilfreich wäre es in einem ersten Schritt sicherlich, wenn sich das Mindset in manchen Unternehmen und Prüfungsausschüssen, bei Gesellschaftern und Aufsichtsbehörden änderte. Was wir brauchen, ist mehr Offenheit und die Bereitschaft, eine größere Diversität im Segment der Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse zuzulassen. Wichtig wäre es in diesem Zusammenhang, wenn die Prüfungsausschüsse ihre Auswahlverfahren regelmäßig und kritisch dahingehend überprüften, ob ihre Ausschreibungsbedingungen noch sachgerecht sind und den Aspekt der Marktdiversität ausreichend berücksichtigen.

Der Gesetzgeber sollte derweil Eintrittsbarrieren und Überregulierungen abbauen, um die Attraktivität der jeweiligen Segmente für neu in den Markt stoßende WPG zu erhöhen. Auch sollte ein Blick über den nationalen Tellerrand erfolgen und hierbei Modelle wie das in Großbritannien diskutierte „Managed Shared Audit“ oder das „Joint Audit“, das in Frankreich bereits gängige Praxis ist, offen diskutiert werden.

Was hat es mit diesen Modellen auf sich?

Beim „Managed Shared Audit“ wird die Prüfung des Konzernabschlusses durch zwei WPG in der Form vergeben, dass es eine*n Konzernabschlussprüfer*in gibt, der*die die vorrangige Verantwortung hat. Daneben ist verpflichtend ein*e weitere*r Abschlussprüfer*in einer kleineren WPG vorgesehen, der*die Teilbereiche des Konzerns prüft. Beim „Joint Audit“ teilen sich zwei WPG ein Prüfungsmandat und tragen gemeinschaftlich die Verantwortung für die Prüfung. Beide Modelle betonen das Vier-Augen-Prinzip, allerdings ist beim Blick auf diese Modelle ein ehrlicher Diskurs notwendig. Die Vor- und Nachteile für die betroffenen Unternehmen und die Auswirkungen auf den Prüfermarkt müssen aufgezeigt werden. Und nochmals: Eine einfache Patentlösung gibt es nicht.

Haben kleinere WPG überhaupt ausreichende Ressourcen, um große Unternehmen von öffentlichem Interesse zu auditieren?

Tatsächlich setzt der Eintritt in den Prüfungsmarkt für Unternehmen von öffentlichem Interesse auf Seiten mittelständischer WPG ein nicht unerhebliches Investment voraus. Angesichts der eingeschränkten Finanzierungsmodelle wäre es sinnvoll, wenn der Berufsstand bereit wäre, das sogenannte Fremdbesitzverbot kritisch zu hinterfragen. Das Fremdbesitzverbot schreibt vor, dass WPG nicht im Besitz von Personen oder Organisationen sein dürfen, die nicht selbst Wirtschaftsprüfer*innen sind. Die Regelung soll sicherstellen, dass die Unabhängigkeit, Integrität und Objektivität der WPG gewahrt bleiben, indem potenzielle Interessenkonflikte vermieden werden. Allerdings stellt sich die Frage, warum Deutschland bei der Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie über deren Vorgaben hinausgegangen ist, und ob das Fremdbesitzverbot in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen generell noch zeitgemäß ist.

Gesetzesverschärfungen allein verhindern kein zweites Wirecard

Ließe sich durch diese Maßnahmen auch ein ähnlich gelagerter Fall wie Wirecard verhindern? Oder welche zusätzlichen Reformen wären hierfür nötig?

Etwas provokant möchte ich es so formulieren: Zu glauben, dass Bilanzskandale durch Gesetzesverschärfung vermieden werden, ist naiv. Es bedarf hier stattdessen ganzheitlicher Überlegungen. Insoweit ist das FISG ein erster Schritt in die richtige Richtung gewesen, da es sowohl die Unternehmen, die Prüfer*innen als auch die Aufsichten ins Blickfeld genommen hat. Will man ein zweites Wirecard unwahrscheinlicher machen, muss entsprechend in diesen drei Bereichen gleichermaßen nachgesteuert werden. Wichtig ist demnach eine vernünftige Aufstellung der Unternehmen in den Bereichen Risikomanagement, interne Kontrollsysteme und Compliance. Unabdingbar ist zudem eine gute Governance durch kritisch hinterfragende und kompetente Aufsichtsrät*innen und eine ausreichende Zahl unabhängiger Mitglieder im Prüfungsausschuss. Zudem braucht es Abschlussprüfer*innen, die miteinander im Wettbewerb über die Qualität und nicht den Preis stehen; Abschlussprüfer*innen, für die das Motto „walk the talk“ gilt, die also ihre eigene Governance als Abschlussprüfungsgesellschaften vorbildlich leben und die eine von berufsständischer Ethik getragene Kultur pflegen. Schließlich sind Regulatoren vonnöten, die präventive Maßnahmen noch stärker in den Mittelpunkt stellen und auf europäischer Ebene weitestgehend koordiniert handeln. Berücksichtigt man diesen Dreiklang bei den anstehenden Reformmaßnahmen, dürften Fälle à la Wirecard in Zukunft zumindest unwahrscheinlicher werden.

Lässt sich aus Ihrer Sicht abschätzen, inwiefern sich die EU-Reform der Abschlussprüfung dieses Jahr weiterentwickeln wird?

Angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen Jahren ist eine Prognose schwierig. Zunächst einmal dürften 2024 und 2025 sehr stark von der Einführung und ersten Erfahrungen mit der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung geprägt sein. Im Anschluss daran ist es aber denkbar, dass 2025 auch das Jahr werden wird, indem sich die EU-Kommission wieder den drei Säulen des Corporate Reporting Eco-Systems zuwendet: den Unternehmen (corporate governance), den Abschlussprüfern (audits) und den Aufsichten (supervision). In allen drei Bereichen sollten dann die jeweiligen Herausforderungen in den Blick genommen werden. Eine davon dürfte in der Harmonisierung der 13 unterschiedlichen Rotationssysteme der externen Abschlussprüfer*innen liegen, die aktuell noch in den Mitgliedsstaaten vorherrschen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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