Der „neue“ Vergütungsbericht – ein Bärendienst der EU für deutsche Unternehmen?

Reform & Debatte
2. November 2021

Mit dem ARUG II wurde die 2. Aktionärsrechterichtlinie der EU in Deutschland umgesetzt. Sie verpflichtet börsennotierte Aktiengesellschaften zur Aufstellung eines Vergütungsberichts. Zum einen soll die Mitwirkung von Aktionär*innen gestärkt, zum anderen sollen Informationen leichter zugänglich werden. Dabei ist nicht alles Gold, was glänzt.

Der „neue“ Vergütungsbericht sieht eine Veröffentlichung der (konzernweiten) Vergütung von aktuellen und ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern auf individualisierter Basis vor. In Deutschland gab es bereits vor dem ARUG II personalisierte Angabepflichten für die Vorstandsvergütung, nämlich im Anhang und im Lagebericht. In der Praxis landeten diese häufig in einem separaten Kapitel zur „Vergütung des Vorstandes“.

Ausweitung des Personenkreises

Neu ist die Ausweitung der Angabe auf Vergütungen für Aufsichtsratsmitglieder und ehemalige Mitglieder beider Organe. Die EU spricht in ihrer Aktionärsrechterichtlinie von „Mitgliedern der Unternehmensleitung“. Der deutsche Gesetzgeber hat daraus „Vorstand und Aufsichtsrat“ gemacht. Grund dafür ist die dualistische Struktur unserer Aktiengesellschaften. Fest steht: In Deutschland erhalten Aufsichtsrät*innen traditionell eine fixe „Aufwandsvergütung“ für ihre Tätigkeiten im Gremium. Übernehmen sie weitere Aufgaben in einzelnen Ausschüssen, können Zulagen gewährt werden. Die Absicht der EU, alle Mitglieder der Unternehmensleitung in den Vergütungsbericht aufzunehmen, ist verständlich. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der in anderen EU-Ländern verbreiteten monistischen, also nur ein Unternehmensleitungsorgan umfassenden, Gesellschaftsstrukturen. Aber besonders spannend dürften die Angaben zur Aufsichtsratsvergütung in Deutschland nicht werden.

Neue zeitliche Dimension

In Zukunft muss der „neue“ Vergütungsbericht auch die Veränderung der (Gesamt-)Vergütung im Zeitablauf darstellen. Alle Daten bleiben zehn Jahre lang öffentlich zugänglich. So können sich Interessierte selbst einen Überblick über Anpassungen der Vergütung verschaffen. Den Aktionär*innen soll auf diese Weise ermöglicht werden, ein notwendiges Korrektiv zu schaffen, falls im Unternehmen die beschlossene Vergütungspolitik nicht adäquat umgesetzt wird oder die Vergütung nicht mit der Leistung der Gesellschaft korreliert.

Aber wie sollen (einzelne) Aktionär*innen dieses Korrektiv schaffen? Ihre Möglichkeiten, auf die Gesellschaft einzuwirken, sind begrenzt: Da wären die Befragungen und Abstimmungen auf der jährlichen Hauptversammlung und/oder die „Abstimmung mit den Füßen“, d. h. der Verkauf ihrer Aktien. Die EU-Richtlinie (und dementsprechend auch das deutsche Umsetzungsgesetz) sieht eine Abstimmung der Aktionär*innen auf der Hauptversammlung über den Vergütungsbericht vor. Wird dieser von den Aktionär*innen abgelehnt, muss die Gesellschaft im Vergütungsbericht des Folgejahres darlegen, wie diesem Abstimmungsergebnis Rechnung getragen wurde. Kaum vorstellbar, dass diese äußerst milde Konsequenz einen regulierenden oder korrigierenden Einfluss entfalten wird.

Neue Rolle für den Aufsichtsrat      

Im Mittelpunkt der Diskussion steht außerdem, dass ein wichtiges Korrektiv zumindest deutlich geschwächt wurde: ARUG II macht den Aufsichtsrat zum Ersteller des Vergütungsberichts – zusammen mit dem Vorstand. Früher, als die Angaben zur Vorstandsvergütung noch in Abschluss- und Lagebericht aufgenommen wurden, war der Aufsichtsrat explizit eine Kontrollinstanz. Nun trägt er gemeinsam mit dem Vorstand die Verantwortung dafür, dass der Erstellungsprozess des Vergütungsberichts adäquat aufgesetzt ist und beispielsweise ein angemessenes internes Kontrollsystem existiert. Der Aufsichtsrat wird sich also intensiv mit dem Erstellungsprozess befassen müssen. Es bleibt zu hoffen, dass er den Vergütungsbericht nicht einfach als „Endprodukt“ hinnimmt, sondern weiterhin inhaltlich kritisch hinterfragt.

Gut gemeint, aber …

Um die Vergleichbarkeit der aufgestellten Vergütungsberichte innerhalb der EU sicherzustellen und den bislang sehr unterschiedlichen Praktiken in den EU-Mitgliedsstaaten entgegenzutreten, schlägt die 2. Aktionärsrechterichtlinie vor, Leitlinien zur Erstellung des Vergütungsberichts durch die EU-Kommission zu veröffentlichen. Die Vorgabe von Leitlinien ist sehr zu begrüßen! Denn der Wunsch nach einfacherer, auch grenzüberschreitender Informationsbeschaffung für die Investor*innen und damit nach Vergleichbarkeit ist ja eines der Hauptziele der Aktionärsrechterichtlinie. Allerdings weist die Umsetzung an dieser Stelle deutliche Mängel auf: Zum einen ist der Vorschlag für einheitliche Leitlinien durch die EU-Kommission in der Richtlinie lediglich als Soll-Vorschrift formuliert („sollte“) und damit nicht zwingend rechtlich vorgeschrieben. Zum anderen hat die EU-Kommission bislang (Stand 31.10.2021) nur einen ersten Entwurf für eine solche Richtlinie in englischer Sprache veröffentlicht.

Die Zeit drängt

Wie soll der Vergütungsbericht konkret aussehen? Auf diese Frage haben die Ersteller auch zwei Monate vor dem Stichtag noch keine Antwort. Schon bald startet der Abschlusserstellungsprozess. In den meisten Unternehmen dürfte der Vergütungsbericht hier eingebunden werden. Aber: Er muss vor der Hauptversammlung fertiggestellt (und geprüft) sein. Damit bleibt kaum Zeit, Prozesse ordentlich aufzusetzen und Layouts oder Vorlagen sauber anzulegen.

Dass der Entwurf der Leitlinie bislang lediglich in Englisch vorliegt, dürfte für Mitarbeiter*innen von Gesellschaften, die nicht international aufgestellt sind, ein weiteres Problem darstellen. Insgesamt bleibt aber von größter Bedeutung, dass die Leitlinie – selbst, wenn sie finalisiert und in weitere Sprachen übersetzt würde – eine unverbindliche Empfehlung der EU-Kommission zur Gestaltung des Vergütungsberichts bleibt. Unternehmen werden auch künftig davon abweichen können, solange nur alle gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtangaben gemacht werden. Dies kann freilich dazu führen, dass das Ziel, Daten vergleichbarer zu machen, wenn nicht konterkariert, dann doch zumindest erschwert wird. Unverständlich ist dies auch angesichts der sonstigen Bestrebungen der EU, Investoreninformationen zu vereinheitlichen, z. B. durch die verpflichtende Berichterstattung im europaweit einheitlichen Berichtsformat (ESEF). Statt heute bereits verbindliche, tabellarische Lösungen vorzugeben, werden wir in wenigen Jahren sicherlich über die technische Kennzeichnung der geforderten Zahlenangaben sprechen müssen.

Und was ist mit der Prüfung?

Der mit Abstand größte Knackpunkt bleibt die Prüfung des „neuen“ Vergütungsberichts. Bislang gab es für die in Anhang und Lagebericht enthaltenen Angaben zur Vorstandsvergütung eine inhaltliche Prüfungspflicht im Rahmen der Abschlussprüfung. Jetzt beschränkt sich der Gesetzgeber auf eine „formelle“ Prüfpflicht durch den Abschlussprüfer: Er muss fortan bestätigen, dass alle gesetzlich geforderten Angaben – sofern einschlägig – tatsächlich im Vergütungsbericht gemacht werden.

Der Zusatz „sofern einschlägig“ ist besonders spannend: Der Prüfer muss sich intensiv mit dem Vergütungssystem der Gesellschaft und den individuellen Vergütungsabsprachen mit der Unternehmensleitung auseinandersetzen. Wie soll er sonst beurteilen, ob eine Angabepflicht für den*die Mandant*in relevant ist oder nicht? Hinzu kommt die weiterhin erforderliche inhaltliche Prüfung von nicht individualisierten Angaben zum Personalaufwand im Anhang. Kurzum: Der Prüfer ist so tief im Thema und insbesondere in den Zahlen der Vorstandsvergütung, dass es schlichtweg nicht verständlich ist, weshalb die Prüfung des Vergütungsberichts nicht auch inhaltlicher Natur sein sollte. Aber nein: Die Angaben im Vergütungsbericht werden hinsichtlich ihrer materiellen Vollständigkeit, ihrer inhaltlichen Richtigkeit und auch hinsichtlich einer angemessenen Darstellungsweise (im Gegensatz zu früher) keiner Prüfungspflicht durch den Abschlussprüfer mehr unterliegen. Ein echter Schwachpunkt – auch im Hinblick auf das angepeilte Korrektiv (siehe oben). Wie kann der*die Aktionär*in guten Gewissens über den Inhalt eines Vergütungsberichts auf der Hauptversammlung abstimmen, der weder einer inhaltlichen Prüfung durch den Aufsichtsrat (da dieser nun selbst Ersteller ist) noch durch den Abschlussprüfer unterlag?

Hoffen auf Eigeninitiative

Halten wir fest: Die Bestrebungen der EU, die Vergütungsberichterstattung in Europa zu reformieren und zu vereinheitlichen, sind grundsätzlich zu begrüßen. Sie können die Entscheidungsfindung insbesondere für Investor*innen erleichtern. Aber in Deutschland traf die Umsetzung auf einen Rechtsstand, der bereits weit über die Standards hinausging, auf die sich die EU einigen konnte. Der deutsche Gesetzgeber hat daher die Anforderungen an die Vergütungsberichterstattung nun teilweise nach unten geschraubt. Es bleibt zu hoffen, dass die Unternehmen den einen oder anderen Aspekt (z. B. freiwillige Orientierung an der Leitlinie der EU-Kommission und/oder freiwillige inhaltliche Prüfung des Vergütungsberichts) aus Eigeninitiative aufgreifen und sich bei der sensiblen Vergütungsberichterstattung nicht lumpen lassen.


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