KAM: Wie wichtig sind die besonders wichtigen Sachverhalte?
Vor rund zehn Jahren hat die EU im Rahmen der neuen Abschlussprüfungsverordnung auch die Berichterstattungspflicht über Key Audit Matters (KAM) eingeführt. Was hat es mit diesen besonders wichtigen Sachverhalten auf sich? Und haben sich die Erwartungen an die KAM-Berichterstattung erfüllt? Wir ziehen Bilanz.
Die Erteilung des uneingeschränkten Bestätigungsvermerks stellt ein positives Signal an Investoren, Kunden, Lieferanten und andere Stakeholder dar. Der Bestätigungsvermerk besagt, dass der Abschluss in allen wesentlichen Belangen den geltenden handelsrechtlichen Vorschriften entspricht. Das Unternehmen hat also unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage aufgestellt.
Gleichwohl erfuhren die Stakeholder durch den Bestätigungsvermerk aber lange nur wenig darüber, ob im Rahmen der Prüfung auch kritische Themen aufgekommen sind. Diese Lücke in der Berichterstattung zu schließen, war eine der zentralen Ideen bei der Einführung der Berichtspflichten zu den besonders wichtigen Sachverhalten als Teil des Bestätigungsvermerks. Vor allem bei der Prüfung von Unternehmen öffentlichen Interesses (Public Interest Entities, PIEs) sollten sie die Transparenz erhöhen.
Eingang gefunden haben diese Gedanken zuallererst in die Formulierung der EU-Abschlussprüfungsverordnung (EU-APrVO), die im Juni 2014 in Kraft getreten ist. Daneben steckt in Deutschland der Prüfungsstandard (PS) 401 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) den rechtlichen Rahmen ab. In Übereinstimmung mit den einschlägigen International Standards on Auditing (ISA) legt der PS 401 im Wesentlichen fest, wie Abschlussprüfer*innen KAM identifizieren, bewerten und im Bestätigungsvermerk offenlegen sollen.
Was macht Sachverhalte zu besonders wichtigen Sachverhalten?
Doch was macht besonders wichtige Prüfungssachverhalte eigentlich aus? Auch darauf geht der PS 401 ausgiebig und in definitorischer Absicht ein. Demnach handelt es sich hierbei um besonders bedeutsame Themen oder Ereignisse, die im Rahmen der Abschlussprüfung aufgetreten sind. Ein Indikator, der diese Bedeutsamkeit unterstreicht, ist die Diskussion entsprechender Sachverhalte mit dem Aufsichtsorgan des Unternehmens (den „für die Überwachung Verantwortlichen“) im Rahmen der Prüfung. Ebenfalls als KAM geeignet sind komplexe Bilanzierungssachverhalte oder Abschlussposten, bei denen ein erhöhtes Risiko materieller Falschdarstellungen vermutet werden kann. Das kann zum Beispiel für Schätzwerte gelten, da sie häufig mit vager Unsicherheit verbunden sind. Letztlich lassen sich auch wichtige Ereignisse, wie zum Beispiel ein Unternehmenserwerb im Geschäftsjahr, als KAM definieren.
Der PS 401 gibt auch detaillierte Vorgaben für Aufbau und Struktur, nach denen KAM in den Bestätigungsvermerk integriert werden sollen. So muss für jeden besonders wichtigen Sachverhalt eine eigene Überschrift gebildet werden. Dieser hat eine kurze Beschreibung des jeweiligen Sachverhalts zu folgen. Daran anschließend soll der*die Prüfer*in die Gründe darlegen, die ihn*sie dazu bewogen haben, das entsprechende Thema als eines von besonderer Bedeutung zu würdigen. Schließlich muss das prüferische Vorgehen selbst eingehend erläutert werden – einschließlich der sich hierdurch ergebenen Erkenntnisse. Wichtig ist abschließend, dass ein Verweis auf die Angaben im Abschluss eingefügt wird, auf die sich die KAM beziehen.
Die drei Kernziele bei der Einführung der KAM
Um bewerten zu können, ob der Gesetzgeber die mit der Einführung der KAM verbundenen Ziele erreicht hat, ist es wichtig, sich eingehender mit ebendiesen Zielen auseinanderzusetzen. Hierbei zeigt sich, dass es im Wesentlichen drei Hauptanliegen waren, bei denen sich die Regulierer Optimierungen erhofft haben:
- Verbesserte Transparenz: Um die Transparenz für die Adressaten des Bestätigungsvermerks zu verbessern, sollen die KAM nicht nur in einer möglichst verständlichen Sprache verfasst sein. Prüfer*innen sollen sich bei ihrer Auswahl und Zusammenstellung auch auf einige wenige, wichtige Themen konzentrieren. KAM werden vielfach als eine individualisierte Erweiterung des Bestätigungsvermerks beschrieben. Sie bilden damit einen Gegenbegriff zum „Formeltestat“, stärker noch zur sogenannten „Boilerplate-Berichterstattung“. Hierunter werden vorformulierte oder standardisierte Passagen im Prüfungsbericht verstanden, mit deren Integration der*die Auditor*in zwar bestimmte rechtliche oder formale Anforderungen erfüllt, die jedoch nicht spezifisch auf das konkrete Unternehmen eingehen und somit keinen informativen Mehrwert bieten.
- Realistischeres Erwartungsmanagement: Vielfach ist mit Blick auf die Arbeit der Abschlussprüfer*innen von einer sogenannten „Erwartungslücke“ die Rede. So erwartet die Öffentlichkeit oftmals Leistungen von den Prüfer*innen, die von ihrem eigentlichen gesetzlichen Auftrag abweichen. In diesem Sinne ist es das Ziel der KAM-Berichterstattung, den Vorstellungen der Stakeholder ein Stück weit entgegenzukommen. Durch die Integration in den Bestätigungsvermerk sollen die Leser*innen einen vertieften Einblick in die Abschlussprüfung eines Unternehmens und vor allem in die Art und Weise des Zustandekommens des Prüfurteils erhalten.
- Erhöhung der Relevanz: KAM sollen die Aussagekraft und Relevanz des Bestätigungsvermerks steigern. Entsprechend sollen Prüfer*innen bei der Darstellung der besonders wichtigen Sachverhalte durchaus kritische Themen auswählen. Auf diese Weise soll auch ein stärkeres Zutrauen der Stakeholder und der Öffentlichkeit in die Arbeit der Abschlussprüfer*innen geschaffen werden.
Der Blick der Forschung zu KAM: Die Rückkehr der Boilerplate
Seit der Einführung der KAM ist ihre tatsächliche Umsetzung immer wieder Inhalt und Thema wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. In zahlreichen Studien ist die Frage forschungsleitend, ob die KAM-Berichterstattung die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt hat. Wie nicht anders zu erwarten, kommen die Studien zu variierenden Ergebnissen, auch und vor allem mit Blick auf die unterschiedlichen Branchen. Gleichwohl wird bei einigen Aspekten eine gewisse sektorenübergreifende Tendenz bei der Evaluierung der KAM-Berichterstattung deutlich. So stellen zahlreiche Paper mit Blick auf die Lesbarkeit der Berichte fest, dass diese zwar unmittelbar nach Einführung der Reportingpflicht auf einem vergleichsweise verständlichen Niveau gewesen sei. Seither habe die Verständlichkeit sich aber wieder verschlechtert und gleiche jetzt verstärkt der Sprache von Fachpublikationen.
Sinn und Ziel der KAM-Berichterstattung ist es, einen individuellen Zugang zum jeweiligen Berichtsjahr zu ermöglichen. Und doch fühlen sich einige Autor*innen beim Blick auf die Umsetzung verstärkt an die Methoden der Boilerplate-Berichterstattung erinnert. So weisen zahlreiche Untersuchungen darauf hin, dass in den Bestätigungsvermerken immer wieder ähnliche oder sogar die gleichen Themen aufgegriffen werden. Eine Untersuchung zur Offenlegung von Key Audit Matters von DAX-Unternehmen kam etwa zu dem Schluss, dass mehr als zwei Drittel der Themen auch im Vorjahr schon als KAM in den Bestätigungsvermerken aufgegriffen worden waren. Zudem seien nicht unerhebliche Teile der Texte wörtlich aus denen des Vorjahrs übernommen worden. Wie oben dargestellt, widerspricht diese Vorgehensweise den Zielen, die mit der Darstellung der besonders wichtigen Sachverhalte verbunden waren. Diese sollten sich inhaltlich eben nicht wiederholen, sondern sich konkret auf die Spezifika der vorangegangenen Prüfungsphase beziehen.
Fazit: Licht und Schatten bei der Umsetzung der KAM-Reportings
Pauschale Urteile verbieten sich, zahlreiche Abschlussprüfer*innen nehmen die individuelle Ausgestaltung der besonders wichtigen Sachverhalte zu Recht sehr ernst und nutzen diese, um dem Bestätigungsvermerk mehr Aussagekraft zu verleihen und zusätzliche Transparenz zu schaffen.
Gleichwohl kommt es dabei häufig zu struktureller Ähnlichkeit und teilweise inhaltlicher Deckungsgleichheit. Verwundern kann diese Tatsache im Grunde kaum. So betonen die Prüfungsstandards zwar immer wieder die Notwendigkeit der individuellen Ausgestaltung der besonders wichtigen Sachverhalte durch die Prüfer*innen. Gleichzeitig geben die Standards dann aber doch ein sehr enges, feinmaschiges Gitter an Regularien vor, in dem sich die gewünschte Individualität entfalten soll.
Ein Grund für den offenbar nachlassenden Individualisierungsgrad bei der Darstellung der besonders wichtigen Sachverhalte könnten auch etwaige Haftungsrisiken sein. Denn genau darin liegt ja der Charme standardisierter Formulierungen: Sie senken das Risiko des*der Verfasser*in, im Zweifelsfall juristisch angreifbare Formulierungen zu verwenden. So nachvollziehbar dieser Beweggrund auch sein mag – er darf nicht auf Kosten der Transparenz des Bestätigungsvermerks gehen.
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