Volatile Energiemärkte: Wie Unternehmen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bilden

Reform & Debatte
21. März 2023

Nicht nur auf die Haushalte kommen derzeit rückwirkend Kosten für Strom und Gas zu. Aufgrund der aktuell volatilen Energiemärkte erwarten Expert*innen, dass auch viele Unternehmen mit hohen Nachzahlungen für ihren Energieverbrauch rechnen müssen. Im Rahmen der Bilanzerstellung tritt daher die Frage auf, ob und in welcher Höhe Rückstellungen für die zu erwartenden Nachzahlungsbeträge zu bilden sind. Problematisch in diesem Zusammenhang: Auf welcher Grundlage sind die zu passivierenden Wertansätze überhaupt zu ermitteln?

Der rechtliche Rahmen

Rechtlich ist der Sachverhalt im Handelsgesetzbuch (§ 249 Abs. 1, Var. 1) geregelt, wonach Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden sind. Dies ist beispielweise der Fall, wenn zum Bilanzstichtag mit Aufwendungen für Strom- und Energiekosten für das abgelaufene Geschäftsjahr zu rechnen ist, deren Höhe (noch) nicht sicher feststellbar ist. Anerkanntermaßen sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten der Höhe nach grundsätzlich mit dem Erfüllungsbetrag anzusetzen. Vereinfacht gesagt: Steuerpflichtige haben den Betrag zurückzustellen, den sie zur Erfüllung der ungewissen Verbindlichkeit voraussichtlich aufzuwenden haben.

Nachweis des Wertansatzes

Doch wie ist der Erfüllungsbetrag bei zu erwartenden Nachzahlungen für Strom- und Energiekosten zum Bilanzstichtag zu ermitteln? In einem solchen Fall ist der gewählte Wertansatz nach Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 24.06.2009 – 12 V 12238/08) grundsätzlich anhand von plausiblen und nachvollziehbaren Anhaltspunkten nachzuweisen. In dem genannten Fall ging es konkret um die Frage, ob und in welcher Höhe Rückstellungen für zu erwartende Stromkostennachzahlungen zu bilden sind. Hierbei stufte das Gericht die Frage eines Ansatzes dem Grunde nach unproblematisch als gerechtfertigt ein. Beim Blick auf die Höhe der Rückstellungen sah das Gericht den Steuerpflichtigen in der Bringschuld: Dieser habe darzulegen, dass der von ihm gewählte Wert dem tatsächlich zu erwartenden Erfüllungsbetrag entspricht oder diesem zumindest nahekommt. Dies habe anhand von plausibel gewählten Wertansätzen zu erfolgen. Hierzu hatte das Gericht explizit einen Vergleich anhand von Abrechnungen früherer Jahre, Nachweise über Zählerstände oder ähnliche Unterlagen anerkannt.

Wenn retrograde Betrachtungen nicht weiterführen

Die Nachweispflicht stützt sich somit im Wesentlichen auf eine retrograde Betrachtung. Eine Bezugnahme auf frühere Abrechnungen scheint hingegen wenig geeignet, wenn die Energiekosten im Vergleich zu den vorangegangenen Vergleichsjahren deutlich höher sind oder einer starken Volatilität unterliegen – wie insbesondere im vergangenen Jahr. Für diese Fälle können Steuerpflichtige die vom statistischen Bundesamt (Destatis) ermittelten durchschnittlichen Preissteigerungen verwenden (Lange Reihen von Januar 2005 bis Dezember 2022), um die Plausibilität ihrer Berechnung zu stützen. Auf dieser Basis lässt sich vergleichbar und branchenspezifisch ermitteln, wie hoch die Preissteigerung in Bezug auf das jeweilige Unternehmen ausfällt.

Ein Beispiel: Laut Destatis-Daten hat ein Abnehmer in der Industriebranche einen Jahresverbrauch von 2.000 MWh bis unter 20.000 MWh. Der Strompreis ist hier einschließlich der Verbrauchssteuern (exklusive Mehrwertsteuer) von 15,01 Cent/kwh im ersten Halbjahr 2021 auf 19,25 Cent/kwh im ersten Halbjahr 2022 gestiegen. Das entspricht einer Steigerung von circa 28,2 Prozent. Ein Steuerpflichtiger, der aktuell die eigenen Rückstellungen für seine Energienachzahlungen ermitteln will, könnte sich hierfür auf diese 28,2 Prozent als Referenzwert beziehen. Voraussetzung wäre, dass das eigene Unternehmen mit demjenigen aus der Beispielrechnung vergleichbar ist, mithin ebenfalls der Industriebranche zugeordnet werden kann. Auf diese Weise lässt sich ein plausibel errechneter Wertansatz für die Höhe der Rückstellung bilden.

Fazit: Aktuelle Lage aus bilanzieller Sicht eher Standardfall

Im Ergebnis zeigt sich, dass es sich auch im Falle gestiegener Energiekosten um einen Standardfall bei der Bilanzerstellung handelt. Dieser ist nicht anders zu behandeln als bei anderen ungewissen Verbindlichkeiten. Der wesentliche Unterschied besteht lediglich im Grund der Ungewissheit. Die Höhe ist genau wie in vergleichbar gelagerten Fällen durch einen möglichst genauen und belegbaren Ansatz plausibel zu ermitteln.


Für weitere Themen rund um die Wirtschaftsprüfung und Mazars folgen Sie uns auch auf LinkedIn, X und XING.

Kommentare

Antwort

Ihre E-Mail Adresse wid nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert*.