
Geopolitische Risiken: Wie berichtet man das Ungewisse?
Trumps Zollpolitik könnte erhebliche finanzielle Folgen für deutsche Exporteure haben. Doch die Tarife der neuen US-Administration sind nur ein Risiko von vielen im geopolitischen Raum. Wir zeigen, wo weitere Gefahren lauern und welche Rolle sie bei Berichterstattung und Abschlussprüfung spielen.
Die deutschen Unternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten stark vom freien Handel mit Gütern und Dienstleistungen profitiert. Wie sehr sie in die internationale Wertschöpfung eingebunden sind, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts: Demnach hängt hierzulande fast jeder vierte Arbeitsplatz an der Exportwirtschaft. Die zunehmenden geopolitischen Spannungen stellen die Unternehmen daher vor komplexe Herausforderungen – und damit auch die Unternehmensberichterstattung. Denn wenn sich Handelskonflikte, politische Instabilität, internationale Sanktionen oder militärische Auseinandersetzungen auf die Geschäftstätigkeit auszuwirken drohen, dann müssen sie auch im Jahresabschlussbericht aufgegriffen werden. Doch um welche Themen geht es überhaupt, wenn von geopolitischen Risiken die Rede ist?
Die Vielfalt geopolitischer Risiken: Ein Überblick
Geopolitische Risiken beziehen sich auf eine Vielzahl von Ereignissen und Entwicklungen im internationalen Umfeld eines Unternehmens. Dabei muss ein identifiziertes geopolitisches Risiko für ein Unternehmen nicht automatisch auch für andere Unternehmen relevant sein. Ob es eine reale Bedrohung darstellt, ist stattdessen von zahlreichen Faktoren abhängig: von der Branchenzugehörigkeit, der strategischen Ausrichtung, der internationalen Verflechtung des Unternehmens und vielen weiteren Kriterien. Vereinfacht lassen sich die aktuell größten geopolitischen Herausforderungen in vier zentrale Themenkomplexe zusammenfassen:
Handelskonflikte und Protektionismus: Zölle, Handelsbeschränkungen, Handelskriege und die Privilegierung nationaler Akteure – all das kann international agierende Unternehmen stark beeinträchtigen. Wie aktuell das neue US-Zollregime demonstriert, führen Risiken aus diesem Umfeld zu Wettbewerbsnachteilen nichtnationaler Unternehmen auf wichtigen Absatzmärkten. Auch wenn die Unternehmen vor Ort produzieren, sind sie nicht immer vor neuen Zöllen geschützt. So sind die globalen Player in der Regel in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden und somit – wie etwa die deutschen Automobilkonzerne in den USA – auf Vorprodukte aus dem Ausland angewiesen. Unterliegen auch diese den neuen Tarifen, bleibt das Risiko höherer Kosten und damit schlechterer Wettbewerbsbedingungen bestehen.
Politische Instabilität und Konflikte: Hierzu zählen Bürgerkriege, politische Umstürze, Terrorismus, regionale Spannungen und zwischenstaatliche Konflikte. Nehmen wir die Russland-/Ukrainekrieg: Ereignisse wie diese können zu Einschränkungen oder sogar Aufgabe der Geschäftstätigkeit in wichtigen Märkten führen. Im schlimmsten Fall sind Investitionen damit für immer verloren. Hierzu tragen auch internationale Sanktionen und Embargos bei, auf die sich eine Staatengemeinschaft einigt – und die sie dann auch durchsetzt. Doch geht es auch hier nicht nur um das Risiko, wichtige Absatzmärkte zu verlieren. Wie der Konflikt am Horn von Afrika zeigt, können internationale Konflikte auch zu Verzögerungen in der Lieferkette führen – ein schwerwiegendes Risiko. Kommt es aufgrund fehlender Teile zu einem Produktionsstopp, entstehen den betroffenen Unternehmen hohe Kosten.
Schwankungen bei Energie- und Rohstoffpreisen: Geopolitische Spannungen in rohstoffreichen Regionen können zu erheblichen Schwankungen der Rohstoffpreise führen, was wiederum die Kostenstruktur der Unternehmen beeinflusst. Besonders heikel kann die Lage werden, wenn sich – wie im Fall der Russland-/Ukrainekrieg – die Energie verteuert. Die damit verbundenen höheren Kosten können für Industrieunternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile auf dem Weltmarkt mit sich bringen.
Währungsschwankungen und regulatorische Anpassungen: Ebenfalls unter die geopolitischen Risiken lassen sich Währungsschwankungen und Kapitalverkehrskontrollen subsummieren. Verändert sich bei einem Exportgeschäft beispielsweise der Wechselkurs in der Zeit zwischen Vertragsabschluss und Zahlungszeitpunkt, kann aus einem guten Geschäft schnell ein schlechtes werden. Auch Anpassungen von Gesetzen und Vorschriften in wichtigen Zielmärkten können Risiken darstellen – etwa, wenn sie Bereiche wie Exportkontrollen, Investitionsprüfungen oder den Datenschutz betreffen. Auch der Wegfall von gesetzlich geregelten Subventionen kann sich negativ auf die Bilanzen auswirken – vor allem dann, wenn die Subventionen ein entscheidendes Kriterium für die Investitionen in einen Standort waren.
Geopolitische Risiken im Jahresabschluss
Die Pflicht zur Berichterstattung über geopolitische Risiken ergibt sich aus einer Vielzahl gesetzlicher Vorschriften und Rechnungslegungsstandards. So verpflichtet das Handelsgesetzbuch (HGB) die Unternehmen nicht nur dazu, ihre wirtschaftliche Lage darzustellen, sondern hierbei auch über wesentliche und zukunftsbezogene Unsicherheiten zu berichten. Auch die Deutschen Rechnungslegungsstandards (DRS) fordern die Unternehmen dazu auf, Risiken systematisch zu analysieren und im Konzernlagebericht darzustellen. Hierbei sollen sie besonderes Augenmerk auf Risiken legen, die strategische oder finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen haben – das schließt die kritischen geopolitischen Szenarien mit ein. Die International Financial Reporting Standards (IFRS) führen in diversen Standards aus, inwieweit Risiken, darunter auch geopolitische, zu berücksichtigen sind. Beispiele sind Risiken bei der Bewertung von Finanzinstrumenten oder bei der Bestimmung des Risikozinssatzes und des Cash Flows.
Hinsichtlich der Berücksichtigung im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsaspekten bleibt abzuwarten, inwieweit sich Bestimmungen zur Risikoberichterstattung in der EU-Richtlinie zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) nach eventuellen Vereinfachungen wiederfinden.
Die Abbildung der geopolitischen Risiken erfolgt im Rahmen des Jahresabschlusses in erster Linie im Lagebericht. Die Unternehmen stellen hier qualitative und quantitative Informationen bereit, die es den Stakeholdern ermöglichen, die potenziellen Auswirkungen der identifizierten Risiken auf die finanzielle Lage des Unternehmens zu verstehen und einzuschätzen. Dabei ist es wichtig, das richtige kommunikative Maß zu finden. So sollen die Unternehmen der Vielfalt der genannten geopolitischen Risiken nicht mit ausufernden Beschreibungen potenzieller Bedrohungsszenarien begegnen. Vielmehr muss es das Ziel sein, einen „Information Overkill“ zu verhindern, damit die wesentlichen Aussagen nicht verwässert werden.
Eine strukturierte Berichterstattung sollte folgende Punkte beinhalten: In einem ersten Schritt gilt es zu analysieren und darzulegen, welche geopolitischen Risiken für das Unternehmen relevant sind bzw. relevant werden könnten. Im Anschluss prognostizieren die Autor*innen des Lageberichts die Auswirkungen der identifizierten Risiken auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. Die Prognosen sollten auf szenariobasierten Analysen und einer damit verknüpften Eintrittswahrscheinlichkeit beruhen. Schließlich sollten die Autor*innen kommunizieren, welche Maßnahmen das Unternehmen getroffen hat, um die jeweiligen Risiken zu mindern oder sich dagegen abzusichern.
Falls es sich abzeichnet, dass die geopolitischen Risiken zu finanziellen Einbußen führen, sind die Unternehmen gehalten, entsprechende Wertberichtigungen vorzunehmen oder sonstige Vorsorgen zu treffen. Die Unternehmen müssen zudem Rückstellungen bilden, wenn konkrete finanzielle Belastungen absehbar sind. Kommt es im Extremfall dazu, dass geopolitische Risiken das Geschäftsmodell erheblich beeinflussen, müssen die Verantwortlichen evaluieren, welche Auswirkungen sich dadurch auf die Unternehmensfortführung (Going Concern) ergeben. Auch das Ergebnis dieser Prüfung muss im Anhang offengelegt werden. Im Rahmen der Konsolidierung gilt es bei Risiken zu würdigen, inwieweit ein Kontrollverlust und somit eine Entkonsolidierung vorzunehmen ist.
Die Rolle der Abschlussprüfer*innen
Damit die Abschlussprüfer*innen die Ausführungen zu den geopolitischen Risiken angemessen beurteilen können, sollten sie zunächst ein Verständnis für das Geschäftsmodell des Unternehmens, seine Branche und die internationalen Aspekte seiner Geschäftstätigkeit entwickeln. Zudem sollten sie über die relevanten, aktuellen geopolitischen Entwicklungen informiert sein.
Im Rahmen der Prüfungshandlungen steht zunächst das Risikomanagementsystem des Unternehmens im Fokus. Die Prüfer*innen halten nach, ob dieses auf eine Weise im Unternehmen implementiert ist, die eine Identifizierung, Bewertung und Steuerung geopolitischer Risiken angemessen und effektiv gewährleistet. Zudem hinterfragen sie die Annahmen und Schätzungen, auf denen die entwickelten Risikoszenarien beruhen. Hierbei stellen sie Vergleiche mit Schätzungen/Annahmen ähnlicher Unternehmen an, konsultieren externe Informationen oder ziehen bei Bedarf Sachverständige hinzu. Zudem setzen die Prüfer*innen vermehrt digitale Tools und KI-Systeme ein, um eigene Analysen zu fahren und Plausibilitäten herzustellen. Gibt es Bedenken zur Fortführungsfähigkeit des Unternehmens, können die Prüfer*innen eine detaillierte Going-Concern-Prüfung durchführen.
Die Abschlussprüfer*innen stehen beim Audit im kontinuierlichen Austausch mit dem Management und dem Aufsichtsgremium. Falls die Darstellungen wesentlicher Risiken fehlen oder unzureichend erscheinen, gehört es zu ihren prüferischen Aufgaben, bei den Ansprechpartner*innen entsprechende Zusatzinformationen anzufordern. Die Prüfer*innen können zudem auf potenzielle Schwachstellen der Berichterstattung hinweisen und Optimierungsmaßnahmen vorschlagen. Bei gravierenden Mängeln oder wenn die Abschlussprüfer*innen zu dem Schluss kommen, dass die Going-Concern-Annahme am Ende des Tages nicht angemessen ist, steht auch die Ausstellung eines eingeschränkten Testats oder sogar eines Versagungsvermerks im Raum.
Fazit: Risiko-Prognosen immer wichtiger – aber auch immer schwerer
Wie schwer die Analyse der weltpolitischen Lage fällt, zeigen die vielen, teils konträren Deutungsversuche der aktuellen Entwicklung durch hochkarätige Expert*innen: Befinden wir uns mit Blick auf die internationalen Beziehungen tatsächlich an der Schwelle eines historischen Paradigmenwechsels, wie manche meinen?
Trotz zunehmender Ungewissheit auf den Weltmärkten gibt es heute mehr global agierende Unternehmen als jemals zuvor. Prognosen und Analysen müssen daher viel häufiger mit konkreten Szenarien unterlegt werden, um auf diese Weise Lösungsmechanismen im Vorfeld entwickeln zu können. Auch die Abschlussprüfer*innen haben keine leichte Aufgabe: Sie müssen die im Lagebericht dokumentierten Risikoszenarien mit ihren Methoden kritisch hinterfragen und schließlich bewerten. Soll am Ende dieses Prozesses ein testierter Abschluss stehen, dem die Stakeholder ihr Vertrauen schenken, ist nicht nur ein hohes Maß an politischer Weitsicht von Unternehmen und Prüfer*innen erforderlich. Die Akteure benötigen auch die nötige Flexibilität und Agilität, um die Risikoszenarien immer wieder an die aktuellen geopolitischen Entwicklungen anzupassen. Hierbei können Analysetools auf Basis künstlicher Intelligenz sowohl die Unternehmensleitungen als auch die Abschlussprüfer*innen unterstützen.
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