
„Audits in der Automobilbranche sind immer Teamarbeit“
Sinkende Umsätze, angekündigte Entlassungen, drohende Handelsbeschränkungen – die europäische Automobilindustrie steckt in der Krise. Die damit verbundenen Unsicherheiten bedeuten auch für die Jahresabschlussprüfung eine Herausforderung. Wie sie dennoch gelingen kann, zeigen Burak Sarigül und Dr. Jonas van Elten.
In der europäischen Automobilindustrie stehen die Zeichen auf Krise. Wie ist die Stimmung bei Ihren Mandanten?
Dr. Jonas van Elten: Die Gewinne vieler Autobauer und Zulieferfirmen sind im vergangenen Quartal stark eingebrochen. Bei vielen Unternehmen scheinen Entlassungen unvermeidbar, sogar Werksschließungen werden diskutiert. Die Gründe für die Autokrise sind vielfältig: Standortfaktoren wie die hohen Energie-, Produktions- und Arbeitskosten belasten die Unternehmen. Gleichzeitig kommt die Elektromobilität hierzulande nicht richtig in Schwung. Zudem drohen der exportorientierten Industrie Handelsbeschränkungen in ihren zwei wichtigsten Exportmärkten: In den USA hat Donald Trump bereits neue Zölle angekündigt. Und wenn sich der Handelskonflikt mit China nicht beilegen lässt, dürften auch hier bald neue Zollschranken den Marktzugang erschweren. Dabei gilt es zu bedenken, dass bereits die einseitig von der EU verhängten Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge den hiesigen Autobauern schaden. Denn auch viele deutsche Hersteller produzieren in China E-Autos und exportieren in die EU. Vor diesem Hintergrund ist die Stimmung bei vielen unserer Mandanten erwartbar mit Unsicherheiten über die künftige strategische Ausrichtung verbunden.
Wie steht es um die Transformation zur Elektromobilität?
Burak Sarigül: Die Hersteller haben bereits viel in die Transformation investiert und müssen nun sicherstellen, dass die Kosten betriebswirtschaftlich gedeckt werden. Der Absatz von E-Autos made in Germany war aber zuletzt rückläufig. Einer der Gründe hierfür liegt in der Verunsicherung, die die überraschende Einstellung der Umweltprämie zur E-Auto-Förderung Ende 2023 mit sich gebracht hat. Zudem dominieren den Markt zahlreiche neue Wettbewerber: Neben Tesla sind das vor allem chinesische Hersteller, die immer mehr Kund*innen mit günstigen, aber auch hoch innovativen Fahrzeugen überzeugen. Auch global gibt es Unsicherheiten in der E-Auto-Nachfrage. Gerade auf dem für deutsche Unternehmen so wichtigen chinesischen Markt haben einheimische Wettbewerber bereits einen großen Vorsprung.
Prüferische Bewertung wird anspruchsvoller
Wie wirkt sich die Marktsituation auf die Prüfung der Jahresabschlüsse aus?
Dr. Jonas van Elten: Die Transformation und die gegenwärtigen Marktunsicherheiten stellen Abschlussprüfer*innen vor zahlreiche Herausforderungen. Insbesondere betrifft das die Prognosen und Planungsrechnungen zu Umsatz, Kosten und Ergebnis. Diese Kalkulationen basieren notwendigerweise auf Annahmen über zukünftige Entwicklungen. Je weniger eindeutig sich diese Entwicklungen aber abzeichnen, desto unsicherer fällt die Prognoseberichterstattung aus – und umso anspruchsvoller wird auch die prüferische Bewertung.
Burak Sarigül: Gleichzeitig fällt es schwerer, Risiken valide einzuschätzen. Das betrifft zum Beispiel das Thema Liquidität. So kann der Investitionsdruck in neue Technologien das langfristige Liquiditätsrisiko beeinflussen. Stellen die Unternehmen andererseits unzureichende finanzielle Mittel für zukünftige Projekte und die Innovationsentwicklung bereit, kann das langfristig die Wettbewerbsfähigkeit bedrohen. Auch das Risiko strategischer Fehlentscheidungen steigt in Transformationsphasen und beeinflusst die Auswirkungen auf die langfristigen Zahlungsverpflichtungen. Die Unschärfe bei der Eingrenzung der Liquiditätsrisiken darf sich nicht auf die Qualität des Audits übertragen.
Welche Rolle spielen Werthaltigkeitsrisiken?
Dr. Jonas van Elten: Hier sind es oft neue Regularien, die in einer Phase der Transformation die Unternehmenswerte gefährden. Sie führen beispielsweise dazu, dass Unternehmen ihre Produkte nicht wie geplant veräußern können. Die Unternehmen müssen die Auswirkungen solcher Gesetze im Risikobericht thematisieren. Abschlussprüfer*innen haben die Aufgabe, die Darstellung kritisch zu würdigen. Zudem sollten sie aber auch das allgemeine wirtschaftliche Umfeld im Blick haben, um die Werthaltigkeitsrisiken einzuschätzen. Steigende Produktionskosten oder eine sinkende Nachfrage können zum Beispiel dazu führen, dass sich einmal erbrachte Entwicklungsleistungen in neue Produkte oder Technologien nicht wie erwartet amortisieren. Ebenso könnten künftige Verluste aus langfristigen Verträgen oder Fertigungsaufträgen resultieren, für die Unternehmen eine entsprechende Risikovorsorge in Form einer Rückstellung vornehmen müssen.
Herausforderung durch Automatisierung und Lieferketten
Welche Themen stechen beim Audit Ihrer Mandanten jenseits der aktuellen Agenda besonders hervor?
Burak Sarigül: Die Automatisierung ist in der Branche sehr weit fortgeschritten – sowohl in der Fertigung aber beispielsweise auch beim Auslieferungsprozess. Entsprechend wichtig ist die Prüfung der IT-Systeme und IT-Kontrollen. Ein Schwerpunkt der Prüfung sollte zudem immer auch auf den immateriellen Vermögenswerten liegen, denn die Forschungs- und Entwicklungsquote ist in der Automobilindustrie überdurchschnittlich hoch. So wollen die deutschen Unternehmen nach Zahlen des Verbands der Automobilindustrie zwischen 2024 bis 2028 mehr als 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren. Darüber hinaus bringt die internationale Verflechtung der Industrie zahlreiche Herausforderungen mit sich.
Wo sehen Sie hier die Problematik?
Burak Sarigül: Die Wertschöpfungsketten in der Automobilindustrie sind ausdifferenzierter als in den meisten anderen Branchen. So erfordert die Fahrzeugfertigung den internationalen Zukauf von Teilen, Komponenten und Rohstoffen. Die zuverlässige Versorgung mit diesen Gütern stellt das Supply Chain Management der Unternehmen vor große Herausforderungen, wie wir durch die Lieferengpässe im Rahmen der Covid-19-Pandemie sehen konnten. Auch die Blockade des Suezkanals durch ein aus dem Ruder gelaufenes Frachtschiff im März 2021 hat einmal mehr die Bedeutung der Lieferketten unterstrichen. Die „Ever Given“ hat eine wichtige Ader des Seeverkehrs lahmgelegt und damit auch die Versorgung der deutschen Automobilindustrie mit wichtigen Bauteilen unterbrochen. Das Ergebnis waren Produktionsausfälle in deutschen Werken und später Lieferengpässe von Neuwagen.
Inwiefern muss eine Jahresabschlussprüfung auch solche Risiken im Auge behalten?
Dr. Jonas van Elten: Viele Hersteller haben mit dem Aufbau eines Sicherheitsbestands an zentralen Vorprodukten auf die Lieferkettenproblematik reagiert. Aus prüferischer Sicht ist es in diesem Zusammenhang wichtig, dass sich durch diese Maßnahme keine Überbestände entwickeln, die mit der Zeit an Wert verlieren. Zugleich müssen die Prüfer*innen bewerten, ob die Strategie, die hinter der Bevorratung steht, vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen nach wie vor valide ist. So kann es durchaus sein, dass in Zukunft ganz andere Faktoren die Lieferkette bedrohen.
An was denken Sie konkret?
Dr. Jonas van Elten: Ein Szenario könnte beispielsweise ein militärischer Konflikt Chinas mit Taiwan sein. Das hätte höchstwahrscheinlich zur Folge, dass die Versorgung der Automobilindustrie mit Halbleitern ins Stocken geraten oder zeitweise sogar total ausfallen würde. Eine solche Situation wäre für die Unternehmen deutlich gravierender als die temporäre Blockade des Suezkanals. Die Abschlussprüfer*innen halten deshalb nach, inwieweit die Hersteller im Verbund mit ihren Zulieferern auf eine solche Situation vorbereitet sind und ob die Unternehmen diese Risiken transparent im Geschäftsbericht dargestellt haben.
Burak Sarigül: Um den genannten Anforderungen gerecht zu werden, ist es beim Audit von Fahrzeugherstellern oder großen Zulieferern stets notwendig, Teilbereichsprüfer*innen und Fachexpert*innen im In- und Ausland einzubinden. Auf den*die verantwortliche*n Wirtschaftsprüfer*in kommt daher ein hoher Koordinierungs- und Abstimmungsaufwand zu. Audits in der Automobilindustrie sind immer Teamarbeit. Darüber hinaus ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Prüfungsausschuss und dem Mandanten sehr wichtig, natürlich unter Wahrung der kritischen Grundhaltung der Prüfer*innen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieses Interview ist Teil einer Serie über verschiedene Mandantengruppen in der Wirtschaftsprüfung. Expert*innen von Forvis Mazars berichten in diesem Rahmen über die speziellen Anforderungen der Mandanten, prüferische Besonderheiten und ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Persönlichkeiten. Bisher erschienen:
Private Equity Audit: Vom Deal zum Exit
Audit von EU-PIEs: Die Königsdisziplin der Wirtschaftsprüfung
Inhabergeführte Unternehmen: Auf das große Ganze kommt es an
Audit von Banken: Im Netz der Regularien
Audit im Healthcare-Bereich: „Blut sollte man sehen können“
Audit von Versicherungen: Teamwork wird groß geschrieben
Für weitere Themen rund um die Wirtschaftsprüfung und Forvis Mazars folgen Sie uns auch auf LinkedIn.

Kommentare