Inhabergeführte Unternehmen: Auf das große Ganze kommt es an

Werte & Vision
10. Oktober 2023

Unternehmer*innen haben dieses Land groß gemacht. Wer das Audit eines inhabergeführten Unternehmens durchführt, spürt auch heute noch, dass hier ein anderer Wind weht. Auf was es im Umgang mit den Persönlichkeiten an der Unternehmensspitze ankommt, verraten Dirk Jessen, Partner bei Mazars, und Nathalie Schucht-Funk, Senior Managerin bei Mazars.

Was unterscheidet inhabergeführte Unternehmen von anderen Mandantengruppen?

Nathalie Schucht-Funk: Inhabergeführte Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr lösungs- und entscheidungsorientiert vorgehen. Diese Entscheidungen werden im Regelfall frei von politischen Gesichtspunkten getroffen, von denen sich Entscheider*innen in Konzernen oft leiten lassen und vielleicht auch leiten lassen müssen. Bei den inhabergeführten Unternehmen steht vielmehr der sinnvolle, kaufmännische Weg im Vordergrund. Zudem denken Familienunternehmer*innen oft langfristiger und suchen die direkte, offene Kommunikation.

Dirk Jessen: Ein Teil dieser Unterschiede ergibt sich aus den anderen Anreizstrukturen, die sich bei managementgeführten Unternehmen finden lassen. Hier sind etwa Boni oft an gewisse Kennzahlen gekoppelt. „You get what you measure“ ist dort deshalb oft das Motto. Es verleitet dazu, ausschließlich auf Messbares zu setzen und darüber das Handeln in immateriellen, nicht messbaren Dimensionen zu vernachlässigen.

Über was würden sich junge Wirtschaftsprüfer*innen wohl besonders wundern, wenn sie es erstmals mit einem inhabergeführten Unternehmen zu tun bekämen?

Schucht-Funk: Über die interessanten Persönlichkeiten, die einem hier begegnen, und die Geschichten, die diese aus ihrem Unternehmerleben erzählen. Nicht nur jüngere Wirtschaftsprüfer*innen können aus diesen Gesprächen eine Menge mitnehmen, denn die Erfahrungen der Entrepreneure sind ja oft einzigartig. Auf diese Weise entsteht immer wieder ein ganz neuer Blick auf die Dinge, und es ergeben sich interessante Zusammenhänge – an der Uni kann man vieles von dem, was man hier mitbekommt, jedenfalls nicht lernen.

Jessen: Ich denke, es ist auch bemerkenswert, dass sich oft eine sehr persönliche Mandantenbeziehung ergibt. Nicht selten geht es um mehr als nur den Jahresabschluss, und wir als Wirtschaftsprüfer*innen oder auch Steuerberater*innen liefern nicht nur eine spezielle Dienstleistung, sondern ein „Rundum-Paket“. Hat man seine Arbeit gut gemacht, sprechen die Unternehmer*innen auch Empfehlungen gegenüber anderen potenziellen Kunden aus. Man kennt sich untereinander und baut eher auf persönliche Empfehlungen als auf Werbung und dergleichen.

Was wäre denn ein Kernthema bei der Prüfung?

Jessen: Ein Thema, das sich schon im Rahmen des Audits stellt, ist aktuell auf jeden Fall das des Going Concern, also der Fortführungsprognose. Die stellt sich in dieser Zeit des Umbruchs, in der sich viele Marktbedingungen gerade massiv verändern, noch einmal besonders. Dies gilt auch gerade für inhabergeführte, mittelständische Unternehmen, deren Produktportfolio und internationale Präsenz vielleicht weniger diversifiziert ist. Der*die Wirtschaftsprüfer*in muss bewerten, ob von der Fortführung des Unternehmens auszugehen ist. Diese Bewertung wird der*die Prüfer*in im Regelfall auf der Basis einer Planungsrechnung über die nachhaltig anzunehmenden Finanz- und Ertragsdaten vornehmen. Zum einen kann die Planung des Unternehmers aufgrund der persönlichen Verbundenheit zum eigenen Unternehmen hoch sein, was Planungen optimistischer werden lässt. Zum anderen ist auch die Nachfolgeregelung ein Aspekt, der zumindest langfristig relevant bei diesem Thema ist. Der Erfolg mancher Unternehmen ist so stark an eine Person geknüpft, dass es für nachfolgende Manager*innen oder sogar die eigenen Kinder, die in nächster Generation übernehmen wollen, sehr schwer sein kann, an den Erfolg anzuknüpfen. Es fehlt teilweise die Erfahrung und das sehr persönliche Netzwerk.

Um was geht es in diesen Beratungen?

Schucht-Funk: Ausgangspunkt ist oft das Problem, dass entweder kein*keine Nachfolger*in bereitsteht oder dass dieser*diese nicht über die nötigen persönlichen oder fachlichen Voraussetzungen beziehungsweise Kompetenzen verfügt. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Szenarien durchgespielt – vom Verkauf über einen Börsengang oder einen Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen, dem Einsatz eines*einer externen Manager*in bis hin zur Schließung des Betriebs. Hierbei geht es immer um die Frage, auf welche Weise ein Unternehmen seine Zukunftsstrategie am sinnvollsten umsetzen kann. Zudem findet eine Folgeabwägung mit Blick auf die Familie, die Mitarbeiter*innen und das Umfeld des Unternehmens statt. Eine solche Beratung eröffnet somit verschiedene Optionen und kann sehr sinnvoll für die nachhaltige Ausrichtung des Unternehmens sein.

Alle wesentlichen Funktionen liegen in einer Hand

Zurück zur Wirtschaftsprüfung: Welche Besonderheiten sehen Sie, wenn es um den Audit inhabergeführter Unternehmen geht?

Jessen: Arbeitet ein*eine Eigentümer*in mit einem*einer Manager*in zusammen, ergibt sich eine Corporate Governance Struktur, die am besten mit dem Prinzipal-Agenten-Modell zu beschreiben ist: Der*die Inhaber*in überträgt Aufgaben an eine oder mehrere Personen. Bei inhabergeführten Unternehmen liegen hingegen die wesentlichen Funktionen in einer Hand – in derjenigen des*der Inhaber*in. Das kann die Informationsbeschaffung im Prüfungsalltag deutlich erleichtern und beschleunigen. Weiterhin werden persönliche Daten oder sehr vertrauliche Informationen, die Eingang in die Jahresabschlüsse oder Steuererklärungen finden, oft nur durch wenige erfahrene Mitarbeiter*innen bearbeitet.

Schucht-Funk: Auf der anderen Seite nehmen Unternehmer*innen anfallende Kosten oft mehr in den Blick und haben so auch ein persönliches Auge auf die Prüfungsgebühren. Da das eigene Unternehmen die Rechnungen für die Prüfung bezahlt, ist es keinesfalls selten, dass Inhaber*innen den Mehrwert der Prüfung selbst hinterfragen. Es ist deshalb wichtig, dass die Wirtschaftsprüfer*innen den übergreifenden Nutzen einer Abschlussprüfung gut verargumentieren können. Andernfalls erscheint die Prüfung lediglich als eine Art Pflichtprogramm gegenüber externen Stakeholdern wie Banken und staatlichen Stellen. Wobei man hier auch sehen muss, dass die Hilfe dabei, eine gesetzliche Prüfungspflicht zu erfüllen, von hohem Stellenwert ist. Erfüllt man sie nicht, drohen der*dem Unternehmer*in Strafen.

Auf welche Themenbereiche gilt es zu achten, wenn man einen Ihrer Mandanten prüft?

Jessen: Ein gesunder Optimismus gehört zweifelsfrei zum Wesen des Unternehmertums. Gleichwohl ist es Aufgabe der Wirtschaftsprüfer*innen zu beurteilen, ob dieser Optimismus aus prüferischer Sicht auch zu rechtfertigen ist und in den Planungsrechnungen akzeptiert werden kann. Dies ist eine knifflige Situation für die Prüfer*innen, denn die Problemlösungskompetenz bei inhabergeführten Unternehmen ist oft beeindruckend – auch bei zunächst vermeintlich festgefahrenen Sachverhalten finden sie oft unerwartete Lösungen. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Inhaber*innen ihre Strategie sehr schnell an geänderte Rahmenbedingungen adaptieren können.

Ist eine Strategie zu optimistisch oder ist sie es nicht …? Sicherlich gar nicht so leicht für einen*eine Prüfer*in, das einzuschätzen, oder?

Schucht-Funk: Aber darum geht es. Wichtig ist es, das Wirkungsfeld des Unternehmens einschätzen zu können, die Märkte, das konkurrierende Umfeld, die technologischen und rechtlichen Veränderungen, den Cashflow und dergleichen. Auf diese Weise nehmen Prüfer*innen einen unternehmerischen Blick ein und erkennen besser, was diese Menschen antreibt und was ihre Herausforderungen sind und wo die Risiken liegen.

Jessen: Ziel sollte es sein, sich nicht nur in einzelne Bilanzierungsfragen zu vertiefen, sondern stets das Gesamtbild im Auge zu behalten und sich klarzumachen, wie interessierte Dritte diese Daten interpretieren würden und ob dieses Gesamtbild eine zutreffende Beurteilung erlaubt. Zu einer vollständigen Bewertung gehört es deshalb unbedingt, die ökonomische Entwicklung hinter den Zahlen tatsächlich zu verstehen und zu durchdringen und daher das große Ganze nicht aus den Augen zu lassen.

Informationen müssen immer transparent und vollständig sein

Welche Stolperfallen lauern darüber hinaus?

Schucht-Funk: Was sich generell beobachten lässt, ist der Wunsch der Inhaber*innen, nicht zu viel Transparenz für Dritte zuzulassen – vor allem erfolgreiche Unternehmen halten sich gern bedeckt. Statt der Offenlegung steht oftmals vielmehr das Interesse im Vordergrund, Steuern zu sparen. Wirtschaftsprüfer*innen sollten deshalb sicherstellen, dass Informationen vollständig sind und dass ihnen das Unternehmen alle Dokumente und Verträge vorlegt, die sie für den Jahresabschluss benötigen. Transparenz gilt es auch mit Blick auf die related parties herzustellen, wenn also beispielsweise Familienmitglieder oder nahestehende Unternehmen Aufträge erhalten.

Auf was gilt es bei Geschäften mit diesen related parties zu achten?

Jessen: Grundsätzlich sind Geschäfte mit nahestehenden Personen oder Unternehmen zu marktüblichen Bedingungen durchzuführen – insbesondere bei der Preisgestaltung. Je näher sich Menschen aber stehen, desto eher könnten sie aus verschiedenen Gründen geneigt sein, Rabatte oder andere Begünstigungen zu gewähren. Diese müssen dann aber zumindest steuerlich korrigiert werden – wenn sie nicht sogar komplett unzulässig sind. Ein besonderes Augenmerk sollten Wirtschaftsprüfer*innen auf diesen Aspekt legen, wenn die Strukturen sehr komplex sind, wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten also auf verschiedene Unternehmen verteilt sind.

Welche Tipps haben Sie, damit Wirtschaftsprüfer*innen bei Ihrer Mandantengruppe nicht ins Haftungsrisiko laufen?

Jessen: Das größte Risiko resultiert aus einem mangelnden Verständnis des Unternehmens und des*der Unternehmer*in. Wichtig ist es somit, neben der granularen Prüfungsarbeit nicht den Blick auf das große Ganze zu verlieren.

Vielen Dank für das Gespräch.


Dieses Interview ist Teil einer Serie über verschiedene Mandantengruppen in der Wirtschaftsprüfung. Expert*innen von Mazars berichten in diesem Rahmen über die speziellen Anforderungen der Mandanten, prüferische Besonderheiten und ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Persönlichkeiten. Bisher erschienen:

Private Equity Audit: Vom Deal zum Exit

Audit von EU-PIEs: Die Königsdisziplin der Wirtschaftsprüfung

Audit von Versicherungen: Teamwork wird großgeschrieben

Audit von Banken: Im Netz der Regularien

Audit im Healthcare-Bereich: „Blut sollte man sehen können“

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