Audit von Versicherungen: Teamwork wird großgeschrieben

Werte & Vision
17. Oktober 2023

Ihr Geschäftsmodell ist einzigartig, ihre Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft immens. Die Rede ist von Versicherungsunternehmen, die auch an Wirtschaftsprüfer*innen enorme Anforderungen stellen. Warum es bei der Abschlussprüfung dennoch nicht nur auf die eigene Expertise ankommt, sondern auch auf gute Zuhörerqualitäten, erklärt Patrick Schmarje, Wirtschaftsprüfer von Mazars, im Interview.

Herr Schmarje, Sie prüfen seit Jahren Versicherungsunternehmen – auf welchen Typ Mensch treffen Sie dabei in der Regel?

Patrick Schmarje: Von einem speziellen Typ Mensch würde ich hier nicht sprechen. Im Gegenteil habe ich bisher die Erfahrung gemacht, dass man in einem Versicherungsunternehmen sehr vielfältige und unterschiedliche Charaktere kennenlernt. Der „Vertriebler“ ist häufig ein ganz anderer Charakter als die „Kapitalanlegerin“ oder der „Aktuar“. Und dieser bunte Strauß an Persönlichkeiten, mit denen man im Rahmen der Prüfung zu tun hat, macht auch einen Teil des besonderen Charmes aus, den eine Versicherungsprüfung mit sich bringt.

Was unterscheidet denn eine Versicherung als Unternehmen von anderen Mandantengruppen?

Zuallererst das spezielle Geschäftsmodell, das Abschlussprüfer*innen verstehen müssen, um die Prüfung angemessen durchführen zu können. Zudem werden Versicherungsunternehmen durch die europäische Abschlussprüfer-Richtlinie in Deutschland als PIEs eingestuft, als Public Interest Entities. Der Grund für diese Stellung als Unternehmen von öffentlichem Interesse liegt in der immensen wirtschaftlichen Bedeutung von Versicherungsunternehmen, weswegen diese ebenso wie Kreditinstitute von der Bundesbehörde BaFin beaufsichtigt werden.

Was ist das Besondere am Geschäftsmodell der Versicherer?

Die Unternehmen bieten ihren Kunden Versicherungsschutz gegen bestimmte Risiken an; im Gegenzug erhalten sie von diesen regelmäßige Beitragszahlungen. Diese werden insbesondere in Kapitalanlagen wie zum Beispiel festverzinslichen Wertpapieren angelegt. Deshalb machen Kapitalanlagen einen Großteil der Aktiva aus. Gleichzeitig müssen die Versicherungsunternehmen für die Ansprüche der Versicherungsnehmer sogenannte Versicherungstechnische Rückstellungen bilden, um die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen sicherzustellen. Diese machen wiederum den Großteil der Passiva aus.

Welche prüferischen Herausforderungen sind mit den Versicherungstechnischen Rückstellungen verbunden?

Die Herausforderungen liegen vor allem in der Komplexität der Materie. Aus diesem Grund ziehen Wirtschaftsprüfer*innen häufig Aktuar*innen beziehungsweise Versicherungsmathematiker*innen hinzu, um die oftmals komplizierten Methoden zur Ermittlung der Versicherungstechnischen Rückstellungen zu auditieren. Das ist wichtig, denn die Versicherungsunternehmen dürfen die Versicherungstechnischen Rückstellungen keinesfalls zu niedrig bewerten. Aufgrund der Bedeutung für den Jahresabschluss bestimmen Abschlussprüfer*innen Sachverhalte im Zusammenhang mit den Versicherungstechnischen Rückstellungen und den Kapitalanlagen oftmals als besonders wichtige Prüfungssachverhalte. Diesen sogenannten „Key Audit Matters“ muss im Rahmen der Prüfung besondere Beachtung geschenkt werden.

Was gilt es beim Thema Kapitalanlagen für die Prüfer*innen zu beachten?

Dem Niederstwertprinzip folgend dürfen diese von den Versicherungsunternehmen nicht zu hoch bewertet werden. Herausfordernd war hierbei zuletzt die Bewertung der festverzinslichen Wertpapiere, die häufig einen großen Teil der Kapitalanlagen ausmachen. Aufgrund des plötzlichen und sehr starken Zinsanstiegs haben diese mitunter deutlich an Wert verloren. Nach einer jahrelangen Niedrigzinsphase hat sich die Frage gestellt, ob sich aufgrund von voraussichtlich dauerhaften Wertminderungen ein außerplanmäßiger Abschreibungsbedarf ergibt. Eine Frage, mit der sich auch der Versicherungsfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer beschäftigt hat.

Hoher Anteil an aufsichtsrechtlichen Prüfungsbestandteilen

Gibt es darüber hinaus Besonderheiten bei Versicherungen in prüferischer Hinsicht?

Eine Besonderheit bei der Abschlussprüfung von Versicherungsunternehmen ist sicherlich der hohe Anteil an aufsichtsrechtlichen Prüfungsbestandteilen. So sind im Versicherungsaufsichtsgesetz und der Prüfungsberichteverordnung besondere zusätzliche Anforderungen an die Prüfungsinhalte definiert. Bei bestimmten Versicherungsunternehmen ist beispielsweise zu kontrollieren, ob diese die Pflichten aus dem Geldwäschegesetz eingehalten haben. Darüber hinaus müssen Abschlussprüfer*innen bei jedem PIE-Versicherungsunternehmen unabhängig von der Rechtsform das Risikofrüherkennungssystem und neben dem Jahresabschluss auch die sogenannte Solvabilitätsübersicht prüfen. Bei Letzterem handelt es sich um eine zusätzliche Bilanz, in der die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten mit ihren Zeitwerten und nicht den Buchwerten angesetzt werden. Über diese Prüfung hat der*die Abschlussprüfer*in einen separaten Bericht anzufertigen.

Auch wenn das schon eine ganze Menge an Besonderheiten sind – über was würde sich ein*e junge*r Wirtschaftsprüfer*in wohl besonders wundern, wenn er oder sie es erstmals mit Ihrer Mandantengruppe zu tun bekäme?

Ich denke, ein*e junge*r Prüfer*in, der*die erstmalig beim Audit eines Versicherungsunternehmens eingesetzt wird, würde sich zunächst über die ungewöhnliche Gliederung in Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung wundern. Der Sinn dieser Gliederung ergibt sich aus dem besonderen Geschäftsmodell der Versicherungen. Es wäre nicht zielführend, deren Geschäftsvorfälle durch die klassischen Gliederungen des Handelsgesetzbuchs abzubilden. Stattdessen nutzen die Versicherer spezielle Formblätter, die spartenspezifische Gliederungen vorgeben.

Haftungsrisiken durch Dokumentationen vermeiden

Welchen Tipp geben Sie den jungen Wirtschaftsprüfer*innen mit Blick auf Ihre Mandantengruppe mit auf den Weg?

Die Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS führt regelmäßig Inspektionen bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durch, die ihrerseits PIEs prüfen. Da Versicherungsunternehmen als PIEs gelten, müssen die Prüfer*innen jedes Jahr mit entsprechenden Kontrollen rechnen. Aus diesem Grund sollten die Prüfer*innen einen besonderen Fokus auf eine angemessene Dokumentation legen. APAS-Inspektionen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, denn aus ihnen können auch berufsrechtliche Folgen für die Prüfungsgesellschaft und einzelne Wirtschaftsprüfer*innen entstehen.

Womit wir beim Thema Haftungsrisiken wären. Wie schätzen Sie dieses für Prüfer*innen von Versicherungen ein?

Neben dem höheren Haftungsrisiko durch die APAS-Inspektionen greift für die Abschlussprüfer*innen von PIEs auch eine erhöhte Haftungsobergrenze. So ist die Ersatzpflicht gegenüber dem Mandanten bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzungen bei der Prüfung von Kapitalgesellschaften, die keine PIEs sind, auf einen Betrag in Höhe von 1,5 Millionen Euro beschränkt. Bei der Prüfung von Versicherungsunternehmen kommt die Haftungsbeschränkung hingegen erst ab einem Betrag von 4 Millionen Euro zum Tragen.

Welche Tipps haben Sie, damit Wirtschaftsprüfer*innen nicht ins Haftungsrisiko laufen?

Die Prüfer*innen sollten auch in stressigen Phasen immer auf eine gründliche und saubere Prüfungsplanung und -durchführung achten. Wenn man sich dann an alle berufsrechtlichen Regelungen hält, die man in seiner Ausbildung gelernt hat, ist man grundsätzlich auf einem guten Weg, Haftungsrisiken bestmöglich zu vermeiden. Zudem sind Prüfer*innen gut beraten, auf die in ihrem Team eingesetzten Spezialist*innen wie Versicherungsmathematiker*innen und IT-Prüfer*innen zu hören. Auf Grund der Komplexität des Versicherungsgeschäfts ist es als Wirtschaftsprüfer*in in diesem Umfeld nahezu unmöglich, jeden rechnungslegungsrelevanten Aspekt bis ins letzte Detail zu beherrschen. Als letztverantwortliche*r Wirtschaftsprüfer*in sollte man diesen Spezialist*innen deshalb gut zuhören, wenn sie Anmerkungen zu ihren Spezialgebieten haben.


Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview ist Teil einer Serie über verschiedene Mandantengruppen in der Wirtschaftsprüfung. Expert*innen von Mazars berichten in diesem Rahmen über die speziellen Anforderungen der Mandanten, prüferische Besonderheiten und ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Persönlichkeiten. Bisher erschienen:

Private Equity Audit: Vom Deal zum Exit

Audit von EU-PIEs: Die Königsdisziplin der Wirtschaftsprüfung

Inhabergeführte Unternehmen: Auf das große Ganze kommt es an

Audit von Banken: Im Netz der Regularien


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