Im Prüfungsausschuss sind neue Kompetenzen gefragt

Reform & Debatte
6. September 2022

Der Aufsichtsrat ist qua Gesetz dazu verpflichtet, die Geschäftsführung zu überwachen. Diese aktienrechtliche Überwachungsfunktion umfasst die Kontrolle und Beratung des Vorstands ebenso wie die Mitentscheidung durch zustimmungspflichtige Geschäfte. Eine besondere Rolle spielt die Überwachung der Rechnungslegung und Abschlussprüfung: Diese Vorbehaltsaufgabe des Gesamtaufsichtsrats wird regelmäßig durch einen spezialisierten Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats vorbereitet. Das Aktiengesetz stellt gewisse Kompetenzanforderungen an die Mitglieder des Prüfungsausschusses. Damit will der Gesetzgeber gewährleisten, dass die Überwachungsaufgabe durch die Mitglieder sorgfältig und gewissenhaft wahrgenommen wird.

Das Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses hat sich jüngst verändert. Einerseits reagierte die Politik auf den Wirecard-Skandal und verschärfte mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) die gesetzlichen Anforderungen an den Prüfungsausschuss. Andererseits ergänzt der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) das Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses zusätzlich, um den Anforderungen aus den europäischen Regulierungsinitiativen zur nachhaltigen Unternehmensführung und zur nichtfinanziellen Berichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und EU-Taxonomie) gerecht zu werden.

Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält im Allgemeinen Grundsätze und Empfehlungen zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften. Die Grundsätze geben wesentliche rechtliche Vorgaben wieder und dienen lediglich der Information der Anleger. Die Empfehlungen des Kodex sind durch die Verwendung des Wortes „soll“ gekennzeichnet. Unternehmen können von den Empfehlungen abweichen, müssen die Abweichungen jedoch jährlich in einer sogenannten Entsprechenserklärung offenlegen und begründen („comply or explain“).

Wichtige Historie trotz überholter Vorschriften

Bis zum Inkrafttreten des FISG im Juli 2021 stand es Aufsichtsräten frei, für die Überwachung der Rechnungslegung und Abschlussprüfung einen gesonderten Prüfungsausschuss einzurichten. Allerdings beinhaltete der DCGK in der Fassung vom Dezember 2019 bereits die Empfehlung zur Einrichtung eines solchen Ausschusses und führte damit zu einer faktischen Verpflichtung für börsennotierte Unternehmen. Diese mussten beim Abweichen von der Empfehlung in ihrer Entsprechenserklärung begründen, weshalb sie die Empfehlungen zur „verantwortungsvollen Unternehmensführung“ nicht beachtet haben und vom Kodex abgewichen sind.

Was die Überwachung von Rechnungslegung und Abschlussprüfung angeht, stellte das Aktiengesetz vor der Überarbeitung durch das FISG nur geringe Anforderungen an das Kompetenzprofil des Aufsichtsrates. Bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften musste mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf lediglich einem dieser beiden Gebiete verfügen. Ein entsprechender Sachverstand auf beiden Gebieten – Rechnungslegung und Abschlussprüfung – war gesetzlich nicht gefordert.

Diese Lücke schloss der DCGK in der Fassung vom Dezember 2019 mit einer umfassenden Empfehlung: Aufsichtsräte sollten nicht nur einen Prüfungsausschuss einrichten, der Vorsitzende des Ausschusses sollte auch „über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen […] verfügen sowie mit der Abschlussprüfung vertraut und unabhängig sein“ (Empfehlung D.4). Der DCGK erweiterte das gesetzlich geforderte Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses folglich bereits vor den Neuerungen durch das FISG.

Neue, strengere Anforderungen aufgrund des FISG

Der Fall Wirecard hat das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt geschwächt. Das FISG soll dieses Vertrauen wieder stärken. Hierzu hat der Gesetzgeber die Grundsätze zur Leitung und Überwachung von Unternehmen verschärft. Eine wesentliche Änderung gibt es für Unternehmen von öffentlichem Interesse: Der Aufsichtsrat eines solchen Unternehmens ist nun aufgrund aktienrechtlicher Vorschriften dazu verpflichtet, einen Prüfungsausschuss einzurichten.

Darüber hinaus wurden auch die gesetzlichen Vorschriften für das Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses verschärft. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss nun über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen. Der Prüfungsausschuss muss folglich Expertise in beiden Gebieten aufbauen und diese auf mindestens zwei Expert*innen verteilen, wobei diese Anforderungen nicht an die*den Vorsitzende*n des Ausschusses gestellt werden.

In der aktualisierten Fassung vom April 2022 geht der DCGK noch einen Schritt weiter. Er konkretisiert die Anforderungen an das Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses. Während der Gesetzeswortlaut lediglich „Sachverstand“ fordert, empfiehlt der DCGK hingegen „besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen […] und auf dem Gebiet Abschlussprüfung“ (Empfehlung D.3). Die notwendige „Erfahrung“ setzt eine eigene Tätigkeit auf diesen Gebieten voraus, wobei eine Ausbildung und Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer*in nicht als erforderlich erachtet werden. Zudem fordert der aktualisierte DCGK, dass die*der Vorsitzende des Prüfungsausschusses als primär Verantwortliche*r zumindest auf einem der beiden Gebiete entsprechend sachverständig sein soll.

Nachhaltigkeitsregulierung zieht Empfehlung im DCGK nach sich

Der Gesetzgeber hat bereits im Jahr 2017 das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz verabschiedet. Hierdurch sind bestimmte kapitalmarktorientierte Unternehmen gesetzlich verpflichtet, eine nichtfinanzielle Erklärung zu veröffentlichen und diese inhaltlich vom Aufsichtsrat prüfen zu lassen. Die EU-Kommission hat im April 2021 den Richtlinienentwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) vorgestellt, welcher erweiterte Publizitätspflichten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) vorsieht und den Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen künftig erweitert. Darüber hinaus sollen Vorstände Nachhaltigkeitsaspekte noch stärker bei der Unternehmensführung berücksichtigen.

Als Reaktion auf die europäischen Regulierungsinitiativen stellt der DCGK in der aktualisierten Fassung vom April 2022 nun klar, dass die Überwachung und Beratung des Vorstands insbesondere auch Nachhaltigkeitsfragen einschließen. Das Kompetenzprofil des Aufsichtsrats soll deshalb auch Expertise zu den für das Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen umfassen. Der Prüfungsausschuss muss ferner in der Lage sein, die Umsetzung der neuen Berichtspflichten aus der CSRD zu überwachen. Der DCGK empfiehlt deshalb, Kenntnisse und Erfahrungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung als integralen Bestandteil des „Sachverstands in der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung“ anzusehen. Ein Abweichen von diesen Empfehlungen muss in der Entsprechenserklärung begründet werden.

Fazit

Das Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses unterliegt einer dynamischen Entwicklung. Einerseits brachte das FISG als Reaktion auf den Wirecard-Skandal neue gesetzliche Anforderungen an den Sachverstand des Prüfungsausschusses. Andererseits greift der DCGK die jüngsten Regulierungsinitiativen der EU im Nachhaltigkeitsbereich auf und spricht zusätzliche Empfehlungen für das Kompetenzprofil des Prüfungsausschusses aus. Die Neuerungen zielen darauf ab, dass Aufsichtsräte ihre aktienrechtliche Überwachungsfunktion künftig noch sorgfältiger ausüben werden.

Aus Sicht der betroffenen Prüfungsausschüsse stellt sich nun die Frage, wie schnell diese auf die neuen gesetzlichen Anforderungen reagieren müssen? Das Einführungsgesetz zum Aktiengesetz sieht folgende Übergangsregelungen vor: Die neuen Kompetenzanforderungen an den Aufsichtsrat „müssen so lange nicht angewandt werden, wie alle Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses vor dem 1. Juli 2021 bestellt worden sind“ (§ 12 Abs. 6 EGAktG). Die neuen Anforderungen sind folglich bei der Nachbestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ab diesem Zeitpunkt zu berücksichtigen.

Die Änderungen des DCGK sind erst bei der nächsten turnusmäßigen Entsprechenserklärung zu berücksichtigen. Dabei ist der vergangenheitsbezogene Teil der Erklärung an der alten Fassung des DCGK zu messen, und zwar auch für den Zeitraum nach Bekanntmachung der neuen Fassung des DCGK im Bundesanzeiger. Nur im zukunftsorientierten Teil der Erklärung müssen Vorstände und Aufsichtsräte nun erläutern, ob oder weshalb nicht den neuen Anforderungen an den Sachverstand des Prüfungsausschusses künftig entsprochen werden wird. Die geforderte Expertise wird deshalb zeitnah aufgebaut werden müssen.


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