Wettbewerb auf dem Prüfungsmarkt? Von wegen!

Reform & Debatte
17. Mai 2022

Seit Jahrzehnten ist der Wirtschaftsprüfungsmarkt stark konzentriert. Die „Big 4“ dominieren das Geschäft mit Unternehmen von öffentlichem Interesse. Was bedeuten Marktkonzentration und Eintrittsbarrieren für den Wettbewerb? Kann ein Markt unter solchen Bedingungen wirklich funktionieren?

Mit diesen Fragen hat sich das Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) intensiv beschäftigt. Antworten liefert die im Auftrag von Mazars erstellte Studie „Funktionsdefizite auf dem Wirtschaftsprüfungsmarkt“, deren Kernaussagen wir in diesem Blog-Beitrag zusammenfassen.

Informationsasymmetrien

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Märkte effizient funktionieren, sind zuverlässige Informationen. Das Problem: In Kapitalgesellschaften hat das Management einen Informationsvorsprung gegenüber Eigentümer*innen und möglichen Aktionär*innen. Die DICE-Studie spricht von einer „Informationsasymmetrie“. Aufgabe der Wirtschaftsprüfung ist es, dieses Ungleichgewicht zu verringern und ein damit potenziell einhergehendes Marktversagen zu verhindern. Aus wettbewerbsökonomischer Sicht, so die DICE-Studie, kommt es dann zu Marktversagen, wenn die Ziele des Managements von den Zielen der Eigentümer*innen abweichen und das Management nicht im Sinne der Eigentümer*innen handelt, sondern im Sinne der eigenen Zielerreichung. Bei Wirecard war das offenbar der Fall.

Reformversuche

Zwar ist der Wirecard-Skandal nur ein jüngeres Beispiel in einer Reihe von immer wiederkehrenden Bilanzskandalen, an denen Funktionsdefizite trotz Prüfung von Public Interest Entities (PIEs) deutlich werden. Doch Wirecard markiert insofern einen Höhepunkt, als es sich um ein DAX-Unternehmen handelte und damit um eines der wertvollsten Unternehmen in Deutschland. Der Fall hat eine gesellschaftliche und politische Debatte über die Rolle der Wirtschaftsprüfung ausgelöst.

Zugegeben, wirklich neu ist diese Diskussion nicht. Schon die EU-Abschlussprüfungsreform von 2014 hatte zum Ziel, vor allem kapitalmarktorientierten Unternehmen mehr Auswahl bei der Bestellung ihres Abschlussprüfers zu bieten. Damit sollte die Prüfungsqualität erhöht und das schon damals angeschlagene Vertrauen in die Wirtschaftsprüfung wiederhergestellt werden. Mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) hat Deutschland im Juni 2021 eigene Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Abschlussprüfung ergriffen. Und mit der „Öffentlichen Konsultation zur Verbesserung von Qualität und Durchsetzung der Unternehmensberichterstattung“ kam im November 2021 von der EU-Kommission in Brüssel der Startschuss für einen Prozess, der in ein Normsetzungsverfahren und damit in eine zweite EU-Audit-Reform münden kann.

Fakt ist: Der PIE-Prüfungsmarkt ist stark konzentriert. Die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften – Deloitte, EY, KPMG und PwC – teilen sich das Geschäft weitgehend untereinander auf. In Deutschland hatten die Big 4 im Jahr 2020 insgesamt – Beratungsleistungen eingeschlossen – einen Anteil von 84 % am Gesamtumsatz der Top 14 (Big 4 plus Next 10), zeigt eine aktuelle Studie von F.A.Z.-Institut und Mazars.

Gesellschaftliche Verantwortung

Banken, Versicherungen und börsennotierte Unternehmen, sogenannte PIEs, sind ein großer Wirtschaftsfaktor. Wer ihre Abschlüsse prüft, hat Einfluss auf die Stabilität des Finanzsystems. Das Testat ist ein Gütesiegel, auf das sich die Marktteilnehmer*innen verlassen. Falsche und unzuverlässige Abschlüsse können zu falschen Investitionsentscheidungen führen – mit schwerwiegenden Folgen für die Finanzmärkte, für Arbeitsplätze, Altersversorgungen und Ersparnisse in der Bevölkerung. Mit der Rolle der Wirtschaftsprüfung ist damit eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung verbunden, die über das reine Zahlenwerk hinausgeht: Wirtschaftsprüfer*innen stellen Vertrauen her. Daher erhält die Wirtschaftsprüfung auch eine besondere regulatorische Aufmerksamkeit.

Vom Oligopol zum Monopol

Grundsätzlich kann es in einem Oligopol, in dem der Markt von einigen wenigen Anbietern dominiert wird, wirksamen Wettbewerb geben. Doch bei der Prüfung von PIEs wird wirksamer Wettbewerb durch verschiedene Faktoren behindert, heißt es in der DICE-Studie. Insbesondere für große PIEs bestehen vielfach nur sehr beschränkte Möglichkeiten bei der Wahl ihres Abschlussprüfers. Dies liegt zum einen an erheblichen Markteintrittsbarrieren für kleine und mittlere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die es ihnen nahezu unmöglich machen, im PIE-Segment aktiv zu werden. Zum anderen können verschiedene regulatorische Maßnahmen wie zuletzt durch das FISG dazu führen, dass für PIEs nicht einmal die Big 4 zur Auswahl stehen: Im Extremfall wird aus dem Oligopol ein Duopol oder gar ein Monopol. Ist das noch Wettbewerb? Wohl kaum.

Um wirksamen Wettbewerb sicherzustellen, so die DICE-Studie, müssen Prüfungsleistungen zum einen häufig genug ausgeschrieben werden, zum anderen muss eine echte Auswahl sichergestellt sein, d. h. Unternehmen müssen tatsächlich zwischen verschiedenen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wählen können. Ohne den Abbau der Markteintrittsbarrieren für kleine und mittlere Wirtschaftsprüfungspraxen ist davon auszugehen, dass wirksamer Wettbewerb bei der Prüfung von PIEs erheblich behindert wird.

Neues Marktdesign

Offensichtlich konnten weder die umfassenden Reformen im Bilanz- und Prüfungsrecht noch verschiedene Regulierungsreformen in den letzten Jahrzehnten die Funktionsmängel beseitigen. Wenn Skandale wie der Fall Wirecard ein Indiz für Funktionsdefizite und Marktversagen sind, stellt sich die Frage: Wie kann das angeschlagene Vertrauen in die Abschlussprüfung wiederhergestellt werden? Die DICE-Studie verweist auf Maßnahmen, die das strukturelle Problem auf dem PIE-Markt lösen könnten. Sie listet verschiedene Reformoptionen auf, darunter die Einführung von Prüfungen durch mehrere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (Joint Audits oder Shared Audits), eine staatliche Prüferbestellung, die Deckelung von Marktanteilen (sogenannte „Cap Solution“) sowie die Einführung wettbewerbssensibler Kriterien für die Vergabe öffentlicher Prüfungsaufträge. Alles hat Vor- und Nachteile. Daher müssen diese Optionen genau analysiert und öffentlich diskutiert werden. Wirtschaftsprüfung braucht den Diskurs.

Fazit: AAA mit stabilem Ausblick

Der Fall Wirecard hat gezeigt, dass Finanzplätze einen Ordnungsrahmen brauchen, der die Stärken von Aufsichtsbehörden, Aufsichtsräten und Abschlussprüfern vereint. Triple A kommt nicht von ungefähr. Reformen müssen bei der Marktstruktur ansetzen. Nur durch den Abbau der Markteintrittsbarrieren und die Intensivierung des Wettbewerbs bei der Prüfung von PIEs können die Marktvielfalt erhöht, die Prüfungsqualität verbessert und die Funktionsdefizite beseitigt werden.

Über die Studie

Die Studie „Funktionsdefizite auf dem Wirtschaftsprüfungsmarkt“ ist am 12. Mai 2022 im Rahmen eines digitalen Live-Events vorgestellt worden. Gäste der anschließenden Podiumsdiskussion waren Prof. Dr. Justus Haucap (DICE Consult), Katharina Beck MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Fritz Güntzler MdB (CDU), Prof. Dr. Heribert Hirte (Bürgerbewegung Finanzwende) und Evelyne Freitag (Aufsichtsrätin und Finanzexpertin). Der Studienreport kann hier heruntergeladen werden.


Für weitere Themen rund um die Wirtschaftsprüfung und Mazars folgen Sie uns auch auf LinkedIn, X und XING.

Kommentare

Antwort

Ihre E-Mail Adresse wid nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert*.