Berufswunsch Wirtschaftsprüfer*in: Wie hoch ist das persönliche Haftungsrisiko wirklich?

Werte & Vision
28. März 2023

Der Fall Wirecard zeigt: Für Wirtschaftsprüfer*innen kann es ganz schön ungemütlich werden. Denn im Rahmen des Prozesses wird auch gegen Wirtschaftsprüfer*innen ermittelt, einige haben sogar ihre Zulassung zurückgegeben. Auch das Haftungsrisiko für Wirtschaftsprüfer*innen wurde vor Kurzem deutlich verschärft. Soll man vor diesem Hintergrund noch Wirtschaftsprüfer*in werden? Wie hoch ist das Risiko wirklich? Und was soll ich tun, wenn ich tatsächlich vermute, mit einem Betrugsfall à la Wirecard konfrontiert zu sein? Das wollen wir von Dirk Driesch wissen – er ist Partner und Leiter des Quality & Riskmanagements bei Mazars.

Wenn sich junge Menschen heute für den Beruf des/der Wirtschaftsprüfer*in interessieren – müssen sie dann damit rechnen, dass auch einmal gegen sie ermittelt wird? Dass sie gar persönlich haften müssen?

Dirk Driesch: Nein, das müssen sie natürlich nicht – vorausgesetzt, sie verhalten sich im Einklang mit den berufsrechtlichen Pflichten für Wirtschaftsprüfer*innen.

Die Antwort wird vielleicht nicht jede und jeden zufriedenstellen.  Zumal der Gesetzgeber als Konsequenz aus dem Wirecard-Debakel das Haftungsrisiko für Wirtschaftsprüfer*innen ja auch noch erhöht hat …

Tatsächlich gibt es durch das Mitte 2021 verabschiedete Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz, kurz FISG, in Deutschland erstmals eine unbegrenzte Haftung bei der Prüfung von börsennotierten Unternehmen. Damit erinnert die Situation ein wenig an die USA nach den Skandalen um Enron und Worldcom Anfang der 2000er Jahre. Eine Reaktion darauf war der Sarbanes-Oxley-Act von 2002, bei dem auch eine verschärfte Haftung für Wirtschaftsprüfer*innen beschlossen wurde. Den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG) ist es in der Folge aber gelungen, die Qualität der Abschlussprüfung zu steigern und – nebenbei gesagt – parallel dazu die eigenen Honorare erheblich zu erhöhen. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass ich sorgfältiger arbeite, wenn ich weiß, dass ich für meine Fehler wirklich haften muss. Zumindest erhöht eine höhere potenzielle Haftung für eigene fahrlässige Prüfungsfehler das konsequente Einhalten von Qualitäts- und Prüfungsstandards.

Kann man sich nicht wenigstens versichern für den Fall der Fälle?

Natürlich hat jede WPG in Deutschland eine Berufshaftpflichtversicherung, sonst würde ihr die Zulassung seitens der Wirtschaftsprüferkammer gar nicht erteilt. Über diese Versicherung sind angestellte Wirtschaftsprüfer*innen auch erstmal mitversichert. Das Problem ist aber, dass einen keine Versicherung der Welt gegen ein unbeschränktes Haftungsrisiko versichert. Da bleibt also – unabhängig von der versicherten Haftungssumme – immer noch eine ungedeckte Spitze als wirtschaftliches Risiko. Das ist für uns in Deutschland erstmal neu, weil wir vor dem FISG aus der abgeschirmten Haftung kommen. Viele sind durch die aktuelle Situation deshalb durchaus irritiert, müssen sich erst an die neue Lage gewöhnen.

Wer zahlt denn im Haftungsfall als Erstes: Die WPG oder die einzelnen Prüfer*innen?

Wenn es tatsächlich zu einem Haftungsfall kommen sollte, haftet in einem ersten Schritt die WPG. Damit kann ich aber keine absolute Entwarnung für den einzelnen Wirtschaftsprüfer, die einzelne Wirtschaftsprüferin geben. Handeln diese mit Vorsatz, können sie auch persönlich haften. Deshalb bleibe ich dabei: Halten sich Wirtschaftsprüfer*innen an die Compliance-Richtlinien, sind sie immer auf der sicheren Seite.

Wo lauern denn die häufigsten Gefahren im Prüfungsalltag, die Wirtschaftsprüfer*innen vielleicht ganz unbewusst grob fahrlässig handeln lassen?

Ich glaube, es ist wichtig, sich immer bei den prüfungsstandardbezogenen Änderungen auf dem Laufenden zu halten – hier ändert sich oft etwas, das man als Abschlussprüfer*in zu berücksichtigen hat. Im Grunde unterstreicht das einmal mehr die Notwendigkeit, sich permanent aus- und fortzubilden. Es ist aber auch wichtig, dass man keine Abkürzungen im Prüfungsprozess nimmt und es beispielsweise nicht versäumt, direkt mit externen Dritten zu kommunizieren. Inakzeptabel ist es beispielsweise, wenn Prüfer*innen sich eine notwendige Bankbestätigung von Mandant*innen geben lassen. So etwas muss immer direkt von der Bank kommen, denn solche Unterlagen können viel zu leicht gefälscht werden.

Betrugsverdacht: Man darf sich nicht mit halbgaren Antworten zufriedengeben

Was machen Prüfer*innen, wenn sie wie im Fall Wirecard auf Hinweise stoßen, die einen betrügerischen Hintergrund vermuten lassen?

In einem solchen Fall gibt es klare Vorschriften, denen Prüfer*innen zu folgen haben. Erhalten sie Hinweise, die auf eine betrügerische Absicht hindeuten, sind die für die Überwachung zuständigen Gremien und/oder Personen des Mandanten zu informieren, also in der Regel Aufsichtsrat und Vorstand. Wichtig ist aber, dass ich so einer Sache dann auch konsequent nachgehe. Ich darf mich auf keinen Fall mit halbgaren Antworten zufriedengeben – das fiele ebenfalls in die Kategorie „grob fahrlässiges Handeln“.

Und wenn die Prüfer*innen keine Antworten bekommen, die ihnen mehr Gewissheit verschaffen?

Dann bedeutet das, dass der/die Wirtschaftsprüfer*in keine hinreichende Prüfungssicherheit erzielen kann. In einem solchen Fall kann der/die Prüfer*in nur einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk oder sogar einen Versagungsvermerk erteilen. Eine Kündigung des Prüfungsauftrages kommt allerdings nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht. Tatsächlich scheint es beobachtbar zu sein, dass die Instrumente der modifizierten Bestätigungsvermerke in der Post-Wirecard-Zeit von den Prüfer*innen verstärkt eingesetzt werden. Früher wurde möglicherweise auch eher mal ein Auge zugedrückt, man hat schneller den von Mandanten*innen so gewünschten uneingeschränkten Bestätigungsvermerk ausgestellt. Heute scheinen viele Wirtschaftsprüfer*innen sorgfältiger abzuwägen, ob tatsächlich ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt werden kann.

Eingeschränkte Prüfungsvermerke: Nicht immer die richtige prüferische Antwort

Das hört sich zunächst nach einer gangbaren Lösung an. Aber stehen Prüfer*innen nicht blöd da, wenn sie nur einen eingeschränkten Prüfungsvermerk erteilen und nachher stellt sich raus, es war doch alles in Ordnung?

Da stehen sie nicht nur blöd da, sondern können unter Umständen auch noch schadenersatzpflichtig gegenüber dem Mandanten werden. Wenn die Wirtschaftsprüfer*innen aber wirklich einen Betrug feststellen, reicht der eingeschränkte Vermerk ohnehin nicht aus, denn ein eingeschränkter Bestätigungsvermerk ist ein Bestätigungsvermerk – wenn auch mit Einschränkungen. Bei einem gravierenden Betrugsfall würden Prüfer*innen einen Versagungsvermerk erteilen und gegebenenfalls auch das Mandat niederlegen.

Und dann wären die Prüfer*innen auf jeden Fall auf der sicheren Seite?

Auf der sicheren Seite sind sie nur, wenn sie wirklich sicher sind, dass ein Versagungsvermerk die richtige prüferische Antwort auf die aktuelle Situation ist. Denn auch nach der Erteilung eines Versagungsvermerks oder der Niederlegung des Mandats geht es weiter: Man kann sich darauf einstellen, dass der Fall von Rechtsanwaltskanzleien intensiv kontrolliert wird. Und sollten diese feststellen, dass der/die Prüfer*in fahrlässig gehandelt hat, sprich nicht richtig geprüft hat, nicht alle verfügbaren Unterlagen verwertet hat und nicht die richtigen Fragen gestellt hat, um vielleicht doch noch einen uneingeschränkten Prüfungsvermerk zu erteilen, dann ist der/die Prüfer*in gegebenenfalls schadensersatzpflichtig.

Auf was müssen sich Prüfer*innen in einem solchen Fall einstellen?

Ein verweigerter uneingeschränkter Bestätigungsvermerk kann drastische Folgen für das Unternehmen haben. Er kann dazu führen, dass die Hauptversammlung verschoben wird, dass der Aktienkurs einbricht, dass das Management des Unternehmens das Vertrauen der Anleger verliert und vieles mehr. Es kann also ein erheblicher Schaden entstehen, für den der/die Wirtschaftsprüfer*in möglicherweise schadensersatzpflichtig ist – immer vorausgesetzt, dass die Verweigerung des uneingeschränkten Bestätigungsvermerks unbegründet und fahrlässig war.

Karriere als Wirtschaftsprüfer*in: Der Beruf war noch nie so spannend wie heute

Das hört sich nicht gut an – wie oft kommt so etwas vor?

Kein/e Wirtschaftsprüfer*in verweigert leichterhand und ohne intensive Rücksprache mit Kolleg*innen einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Wenn die Prüfer*innen dennoch zu dem Schluss kommen, dass so vorgegangen werden muss, verfahren sie nach festgelegten Methoden und Abläufen. Auf diese Weise stellen sie in aller Regel sicher, dass sie alle Berufs- und Sorgfaltspflichten einhalten, alle Prüfungsstandards befolgen und den kompletten Vorgang zuverlässig dokumentieren. Grob fahrlässiges Handeln ist somit nahezu ausgeschlossen, und gegebenenfalls erhobene Ansprüche können gut abgewehrt werden. Unter dem Strich besteht also gar kein Grund, nicht Wirtschaftsprüfer*in zu werden. Im Gegenteil: Der Beruf war nie so spannend wie heute.

Vielen Dank für das Gespräch.

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