Betriebsrenten: Ein echtes Unternehmensrisiko in der Inflation?
Betriebsrenten bieten oftmals einen verlässlichen Inflationsschutz. Für Unternehmen ist das nicht zwangsläufig eine gute Nachricht, denn sie müssen für den Inflationsausgleich aufkommen. Was das für Bilanzierung und Wirtschaftsprüfung bedeutet, erklären Dorthe Käding und Björn Käding von Mazars im Interview.
Das Thema Inflation begleitet uns spätestens seit Anfang 2022 in vielen Lebensbereichen. Wie wirkt sich die Inflation auf die Entwicklung der Betriebsrenten aus?
Björn Käding: Zunächst müssen wir unterscheiden, nach welchen Regelungen die Renten anzupassen sind. Grundlage dafür ist das Betriebsrentengesetz. Die Arbeitgeber müssen demnach alle drei Jahre prüfen, ob eine Rentenanpassung ansteht. Im Regelfall ist die Anpassung der laufenden Renten dabei an die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes gekoppelt. Seit 1999 können sich die Unternehmen alternativ an den gezahlten Nettolöhnen orientieren. Nur in Ausnahmefällen wie einer wirtschaftlichen Schieflage darf der Arbeitgeber eine Anpassung der Renten unterlassen. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben hierfür allerdings hohe Hürden gesetzt.
Dorthe Käding: Für Pensionszusagen, die nach 1998 erteilt wurden, können die Arbeitgeber zudem ganz auf eine Anpassungsprüfung verzichten, wenn sie sich verpflichten, die Renten jährlich um mindestens 1 Prozent zu erhöhen. Auch wenn sich die 1-Prozent-Regel bei der aktuell hohen Inflation für die meisten Arbeitgeber lohnen dürfte, scheint der überwiegende Teil der Betriebsrenten älteren Datums zu sein. So schätzt das Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung, dass sich die Arbeitgeber bei der Anpassung der laufenden Renten in rund 70 Prozent der Fälle an der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes – also der Inflation – orientieren müssen.
Die Betriebsrentner*innen freuen sich über höhere Renten. Doch was bedeuten die zunehmenden Ausgaben der betrieblichen Altersversorgung für die Unternehmen?
Dorthe Käding: Betriebsrenten stellen neben Gehalt und Corporate Benefits eine zusätzliche Möglichkeit dar, neue Mitarbeiter*innen zu gewinnen und bestehende Mitarbeiter*innen zu binden. Aus Unternehmenssicht steht den Ausgaben für die betriebliche Altersversorgung also die künftige Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter*innen gegenüber. Höhere Betriebsrenten belasten die Bilanzen der Unternehmen daher zunächst einseitig, da ihnen keine zusätzliche Arbeitskraft entgegensteht.
Björn Käding: Es sind aber nicht nur die stetig steigenden Kosten, welche die Unternehmen belasten. Da die Anpassungen an die Inflation gekoppelt sind, sind die Ausgaben für die Unternehmen auch schlecht kalkulierbar. Es ist zuallererst diese schwierige Prognostizierbarkeit der Ausgaben, welche die Betriebsrente für die Unternehmen zunehmend unattraktiv gemacht hat. Nicht zuletzt, um die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule der Altersversorgung in Deutschland beizubehalten und wenn möglich auszuweiten, hat sie der Gesetzgeber 1999 reformiert. So schafft die Möglichkeit einer jährlichen Rentenerhöhung um 1 Prozent die nötige Planungssicherheit für die Unternehmen. Allerdings reicht diese garantierte Anpassung in Zeiten hoher Inflation nicht mehr aus, um die Kaufkraft der Renten für die Arbeitnehmer*innen zu erhalten.
Inflation kann Anpassung um bis zu 20 Prozent in die Höhe treiben
Welche Folgen aus der hohen Inflation ergeben sich für die Unternehmen bei der Bilanzierung von Pensionsverpflichtungen?
Björn Käding: Ein Arbeitgeber kann eine Pensionszusage direkt durchführen oder mittelbar über einen Versorgungsträger wie beispielsweise eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung. Wählt ein Arbeitgeber den direkten Durchführungsweg, so muss er für die künftigen Pensionsverpflichtungen Rückstellungen bilden. Das Handelsgesetz schreibt grundsätzlich vor, mit welchen Verfahren und Parametern diese Rückstellungen zu ermitteln sind. Ziel der Rückstellungsbildung ist insbesondere die dauernde Erfüllbarkeit der zugesagten Leistung.
Dorthe Käding: Die Preissteigerungen der vergangenen drei Jahre führen bei Renten, die bis zum Jahresende anzupassen sind, zu einer Erhöhung von etwa 19 Prozent. Dementsprechend erhöhen sich auch die Rückstellungen für diese Renten. Die Folge für die Unternehmen könnten enorme bilanzielle Belastungen sein.
Welche Herausforderungen ergeben sich in diesem Kontext für die Wirtschaftsprüfer*innen?
Björn Käding: Wirtschaftsprüfer*innen müssen darauf achten, dass die Bilanz am Bilanzstichtag ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage abbildet. Zudem sind das Vorsichtsprinzip und das Imparitätsprinzip zu beachten.
Das Vorsichtsprinzip verlangt, dass Unternehmen ihre Vermögenswerte im Zweifel eher zu gering und Schulden eher zu hoch bewerten. Das Imparitätsprinzip verpflichtet die Unternehmen, ihre Verluste auch dann bilanziell zu erfassen, wenn sie noch nicht eingetreten sind, mit ihnen aber in der Zukunft zu rechnen ist. Anders sieht es beim Verbuchen von Gewinnen aus: Gemäß Realisationsprinzip dürfen Unternehmen diese erst dann verbuchen, wenn sie sich realisiert haben.
Bezüglich der Pensionsverpflichtungen bedeutet dies, dass Wirtschaftsprüfer*innen auch den Anpassungsstau in die Bewertung der Rückstellungen mit einbeziehen müssen.
Anpassungsstau muss in Bilanz berücksichtigt werden
Den Begriff Anpassungsstau müssten Sie erklären.
Björn Käding: Die Anpassung der Betriebsrenten erfolgt wie bereits gesagt in der Regel alle drei Jahre zu einem bestimmten Stichtag. Zwischen dem vergangenen und dem zukünftigen Anpassungsstichtag bleibt die Rentenhöhe demnach über drei Jahre hinweg stabil. Der Verbraucherpreisindex, auf dessen Basis die Rentenhöhe errechnet wird, entwickelt sich jedoch stetig weiter. Der Anpassungsstau bezeichnet somit die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Rentenniveau und dem sich stetig verändernden Niveau des Verbraucherpreisindexes.
Hätten Sie ein Beispiel, wie sich dieser Mechanismus auf die bilanziellen Rückstellungen auswirkt?
Dorthe Käding: Nehmen wir an, ein Unternehmen zahlt eine Rente, die alle drei Jahre an die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes angepasst werden muss. Die bisher letzte Anpassung fand am 1. Juli 2020 statt. Am 1. Juli 2023 wird das Unternehmen die nächste Anpassung an einen von der Inflation getriebenen Verbraucherpreisindex in Höhe von 16,2 Prozent vornehmen müssen. Das Problem: Zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2022 war noch unklar, um wieviel Prozent die Rente zum Anpassungsstichtag am 1. Juli 2023 steigen würde. Wie soll das Unternehmen die Pensionsrückstellung also in der Handelsbilanz verbuchen? Indem es sich auf Daten bezieht, die zum Bilanzstichtag bereits verfügbar sind. So ist bekannt, dass sich der Verbraucherpreisindex seit der letzten Anpassung am 1. Juli 2020 bis zum Bilanzstichtag um 12,6 Prozent erhöht hat. Dem Imparitätsprinzip folgend muss das Unternehmen also die seit der letzten Anpassung bis zum Bilanzstichtag aufgelaufene Entwicklung des Verbraucherpreisindexes – den Anpassungsstau – in der Bilanz berücksichtigen.
Wie wird es aus Ihrer Sicht mit den Betriebsrenten weitergehen?
Dorthe Käding: Das Thema Anpassungsstau wird Unternehmen und Wirtschaftsprüfer*innen noch in den nächsten Jahren erhalten bleiben. Erst wenn die Inflation für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren wieder auf das Niveau des von der Europäischen Zentralbank erklärten Inflationsziels von rund 2 Prozent absinkt, wird es auch hier zu einer Normalisierung kommen.
Björn Käding: Es wird zudem interessant zu beobachten sein, wie die Politik mit dem Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen bei der künftigen Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung als zweite Säule der Alterssicherung in Deutschland umgehen wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
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