IDW Wertekodex für Wirtschaftsprüfer*innen: unnötig oder überfällig?

Werte & Vision
16. Mai 2023

Für welche Werte stehen Wirtschaftsprüfer*innen? Wie geht der Berufsstand seinen Aufgaben nach? Mit diesen Fragen hat sich das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) schon lange vor Wirecard intensiv beschäftigt und im Sommer 2022 zunächst den Entwurf für einen Wertekodex vorgelegt, gefolgt von der finalen Fassung im Januar 2023. Lohnt sich die Lektüre? Und wenn ja, für wen?

Wirtschaftsprüfung ist eine Dienstleistung, aber keine wie jede andere. Prüfer*innen sorgen dafür, dass verlässliche Unternehmenskennzahlen bereitgestellt werden. Ihre Aufgabe ist im öffentlichen Interesse: Investor*innen, Kund*innen, Lieferant*innen, Behörden – sie alle stützen ihre Entscheidungen auf Informationen, denen sie vertrauen müssen. Mit der Rolle der Wirtschaftsprüfung ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung verbunden, die über das reine Zahlenwerk hinausgeht: Wirtschaftsprüfer*innen stellen Vertrauen her – und nicht bloß Testate. Genau dieses Vertrauen ist durch Bilanzskandale wie Enron, Parmalat, Carillion, Patisserie Valerie oder Wirecard angeschlagen. Klaffen die Außenwahrnehmung und das Selbstverständnis des Berufsstands auseinander? Gilt diese Diskrepanz am Ende auch für die Wertvorstellungen?

Trend zur Corporate Identity

Wie unterschiedlich Werte von einer Generation zur nächsten oder übernächsten sein können, zeigt die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Dort lösen die nach 1980 Geborenen die bislang verbreiteten Denkmuster ihrer Eltern und Großeltern ab. Ihnen geht es nicht mehr primär um Ansehen, Macht und Geld. Gen Y und Gen Z setzen auf „Purpose“, das heißt, sie wollen einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen.

Viele Unternehmen haben erkannt, dass es im „War for Talents“ von Vorteil ist, klar formulierte Unternehmenswerte zu benennen, die sich nicht nur am Profit ausrichten. Die Werte sollen auch erkennen lassen, wofür sich das Unternehmen auf sozialer und ökologischer Ebene einsetzt und wie es einen gesellschaftlichen Mehrwert stiftet. Nach innen gerichtet leiten Unternehmen eine „Corporate Identity“ ab, die die Unternehmenskultur, also die Arbeitsweisen und den Umgang der Arbeitnehmer*innen und Führungskräfte untereinander definiert – und im besten Fall die Bindung der Mitarbeiter*innen an das Unternehmen erhöht.

Dieser Trend geht auch an den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nicht spurlos vorbei. Hinweise zum „Code of Conduct“, den Verhaltensgrundsätzen oder den „Corporate Values“ finden sich auf nahezu allen Websites. Potenzielle Bewerberinnen werden heute deutlich emotionaler angesprochen als früher. Nach dem Kodex sollen Wirtschaftsprüfungspraxen den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wirtschafts-/Abschlussprüfung und Beratung sind eben auch ein „People Business“. Daher hat das IDW, als übergeordnete Dachorganisation der Wirtschaftsprüfer*innen in Deutschland, erkannt, dass der Berufsnachwuchs besser mobilisiert werden kann, wenn die Wertvorstellungen des Berufsstands klar kommuniziert werden.

Verhaltensregeln: beruflicher und persönlicher Kompass

Wirtschaftsprüfer*innen unterliegen strengen Verhaltensvorschriften. Für sie gelten Integrität, Unabhängigkeit, Gewissenhaftigkeit, Verschwiegenheit und die grundsätzliche Erfordernis, bei ihren Tätigkeiten stets eine kritische Grundhaltung zu bewahren. Diese Verhaltensregeln sind in der Wirtschaftsprüferverordnung und der Berufssatzung niedergeschrieben, denen jede*r Wirtschaftsprüfer*in unterliegt. Auch Berufsanfänger*innen leisten bereits im Rahmen ihrer Bestellung zum*zur Wirtschaftsprüfer*in einen Eid darauf.

Dabei sind diese Vorschriften mehr als eine berufliche Richtschnur im Tagesgeschäft: Wirtschaftsprüfer*innen verstehen sie auch als persönlichen Kompass und als ein Hauptargument für ihre Berufswahl. Denn die Wirtschaftsprüfung leistet einen wichtigen Beitrag für die Funktionsfähigkeit unseres Wirtschaftssystems. Die Integrität und Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer*innen sichert das Vertrauen der Marktteilnehmer*innen in die Finanzkennzahlen. Wirtschaftsprüfer*innen erbringen eine Vertrauensdienstleistung und tragen damit zur Finanzstabilität bei.

In Deutschland steht die Wirtschaftsprüfung mindestens seit Wirecard unter Druck. Die strengen Vorschriften für den Berufsstand und die oben beschriebenen ökonomischen Zusammenhänge scheinen in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt zu sein. Der Wertekodex der Wirtschaftsprüfer*innen, den das IDW am 9. Januar 2023 vorgelegt hat, muss im Kontext dieser Herausforderungen betrachtet werden.

Dabei verfolgt der Verband zwei Ziele: Zum einen will er in allgemein verständlichen Worten erklären, welche hohen, insbesondere auch moralischen Anforderungen an Wirtschaftsprüfer*innen gestellt werden. Zum anderen will er dem Selbstverständnis der Wirtschaftsprüfer*innen öffentlich Gehör verschaffen. Der IDW Wertekodex für Wirtschaftsprüfer*innen führt nicht nur die Verhaltensgrundsätze für alle Titelträger*innen auf, sondern geht auch auf die Grundsätze für die Führung von Wirtschaftsprüfungspraxen ein. Dabei liegt der Fokus auf dem adäquaten Umgang mit Mitarbeiter*innen, der Förderung von Diversität, dem Einsatz für Qualität in den erbrachten Leistungen sowie sozialen und ökologischen Belangen.

Öffentlichkeitsarbeit im Interesse von Wirtschafts- und Finanzstabilität

Die Veröffentlichung des IDW Wertekodex ist Öffentlichkeitsarbeit für den Berufsstand. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen – in diesem Fall: eine Verdeutlichung der Wertebasis, auf der alle Wirtschaftsprüfer*innen aufsetzen. Die Bilanzskandale haben gezeigt: Ein Eid, geschworen im Verborgenen, kann den Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit nicht korrigieren. Es braucht mehr, um das Wertefundament der Wirtschaftsprüfer*innen in Vorstandsetagen, Board Rooms, Hörsäle und Nachrichtenredaktionen zu transportieren.

Mit dem Kodex wird das IDW seiner Rolle als Vertreter des Berufsstands gerecht und geht mit gutem Beispiel voran. Nun kommt es zusätzlich auf jeden einzelnen Wirtschaftsprüfer und jede einzelne Wirtschaftsprüferin an, das gemeinsame Anliegen einer korrigierten Außenwahrnehmung ins Ziel zu bringen.


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