Mandanten unter Kontrolle – eine spezielle Beziehung

Werte & Vision
24. Oktober 2023

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG) sollen den Jahresabschluss ihrer Mandanten kritisch prüfen. Doch kann das wirklich funktionieren, wenn die Mandanten gleichzeitig die Kunden sind? Und wie gelingt es Prüfer*innen, die nötige Distanz zum Mandanten zu wahren und doch eine professionelle Arbeitsbeziehung herzustellen? Antworten darauf gibt Timo Husemann, Partner Leading Audit Innovation bei Mazars, im aktuellen Interview.

Wirtschaftsprüfer*innen müssen die Bücher ihrer Mandanten unvoreingenommen, kritisch und objektiv prüfen. Wie kann das funktionieren, wenn der Mandant gleichzeitig der Kunde ist?

Timo Husemann: Wirtschaftsprüfer*innen gewährleisten diese Objektivität durch ihre kritische Grundhaltung und insbesondere durch die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen, professioneller Standards und ethischer Verpflichtungen. Man muss sich bei diesem Thema immer auch den Purpose vergegenwärtigen: Indem Wirtschaftsprüfer*innen ihr Testat erst im Anschluss an eine objektive und unabhängige Prüfung erteilen, schaffen sie die Basis für einen vertrauensvollen Umgang aller Akteure im Wirtschaftsleben. Wirtschaftsprüfer*innen leisten somit nicht nur einen Dienst an ihrem Mandanten, sondern primär an der Gesellschaft im Ganzen. Ohne eine zuverlässige Unternehmensberichterstattung mit verlässlichen Daten und Informationen kann die Stabilität der Finanzmärkte nicht gewährleistet werden – und diese Stabilität ist wiederum im öffentlichen Interesse.

Wie gelingt es Wirtschaftsprüfer*innen, diesen Purpose im Arbeitsalltag nicht aus den Augen zu verlieren?

Das gelingt ihnen durch ihre Unabhängigkeit, ihre Neutralität, ihre Objektivität, ihre Qualifikation, den Code of Conduct und regelmäßige Fortbildungen zu diesem Thema. Wichtig ist, dass sie sich immer wieder klar machen, wer der eigentliche Adressat ihrer Arbeit ist. Und das ist eben nicht nur der oder die aktuelle Ansprechpartner*in im Unternehmen, sondern es sind unterschiedliche Gruppen von Stakeholdern, die eben gerade nicht mit am Tisch sitzen. Dazu zählen Mitarbeiter*innen, Lieferanten und Kunden des Mandanten ebenso wie Investoren und staatliche Institutionen. Bei einer Hauptuntersuchung für Autos geht es ja auch nicht allein um einen Service für Autohalter*innen, sondern immer auch um die allgemeine Sicherheit im Straßenverkehr. Entsprechend erhalten Autofahrer*innen ihre TÜV-Plakette nicht zuallererst deshalb, weil sie dafür bezahlen, sondern weil der oder die Kontrolleur*in keine Mängel am Fahrzeug feststellt. Man könnte das Testat für den Jahresabschluss somit auch als eine Art Unternehmens-TÜV bezeichnen.

Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind profitorientierte Unternehmen: Besteht bei zu kritischer Herangehensweise nicht die Gefahr, dass die WPG den Auftrag verliert?

Gerade weil WPG profitorientierte Unternehmen sind, gibt es zu dieser kritischen Herangehensweise keine Alternative. Auch wenn es hierdurch theoretisch dazu kommen kann, dass ein Auftrag wegbricht, ist Glaubwürdigkeit für den nachhaltigen Erfolg einer WPG unabdingbar. Verliert eine WPG den Ruf der Unabhängigkeit, Objektivität und Glaubwürdigkeit, ist der Reputationsschaden weitaus größer, als es der Verlust eines einzelnen Auftrags sein könnte.

Einflussnahmen selten, Diskussionen häufig: Was Prüfer*innen erwartet

Wie oft kommt es denn vor, dass Mandant*innen tatsächlich versuchen, Einfluss zu nehmen?

Bewusste Einflussnahmen sind äußerst selten, und ich habe dergleichen persönlich auch noch nicht erlebt. Das heißt nicht, dass es nicht Sachverhalte und Maßnahmen geben kann, die beim Mandanten erst einmal auf Widerspruch stoßen. Ich erinnere mich etwa an Fälle, wo es nötig war, signifikante Anpassungen bei Rückstellungen vorzunehmen. Insbesondere wenn diese Anpassungen Effekte auf Zielvereinbarungen der Ansprechpartner*innen haben, sieht man nicht nur in erfreute Gesichter. Es gilt dann, auch solche Situationen mit beruflicher Professionalität zu meistern und dem oder der Mandant*in zu erklären, warum die Maßnahme notwendig ist.

Angenommen, der Prüfungsvermerk kann nicht oder nur mit Einschränkungen erteilt werden: Ist der Mandant nicht spätestens dann versucht, einen gewissen Druck auszuüben?

Keine Frage, es ist immer heikel, wenn die Einschränkung oder gar das Versagen eines Prüfungsvermerks im Raum steht. Noch heikler wird es, wenn hierbei ein Dissens im Sachverhalt zwischen Mandant*in und Prüfer*in besteht. Natürlich wird dann über den entsprechenden Sachverhalt diskutiert – aber ist das schon Einflussnahme? Ich würde diese Frage eher verneinen. So gehört es aus meiner Sicht zur Professionalität von Wirtschaftsprüfer*innen mit dazu, auf solche Situationen vorbereitet zu sein. Oft ist es so, dass den Mandant*innen erst im Rahmen dieser Gespräche bewusst wird, wo wir Wirtschaftsprüfer*innen das eigentliche Problem sehen. Auch wenn es deshalb emotional werden kann, sollten Prüfer*innen ihr Urteil mit sachlichen Argumenten darlegen – das nimmt im Regelfall den Druck aus dem Kessel.

Mit Kommunikation und Kollegialität: Wie Vertrauen die Arbeit erleichtert

Konflikte wie diese dürften eher die Ausnahme bilden. Wie würden Sie die generelle Zusammenarbeit mit den Mandant*innen beschreiben?

Die Zusammenarbeit ist in der Regel sehr eng, da Wirtschaftsprüfer*innen ja schließlich auf die Informationen von Seiten der Mandant*innen angewiesen sind, genau deshalb hat der Gesetzgeber dem Wirtschaftsprüfer ein umfangreiches Auskunftsrecht eingerichtet. Im Rahmen unserer Arbeit führen wir zahlreiche Interviews und schauen uns viele unterschiedliche Nachweise an, die beispielsweise zu einem Bilanzposten geführt haben. Diese Informationen erhalten wir von den Mandant*innen und lassen sie uns in aller Regel auch von ihnen erklären. Im Anschluss beurteilen wir, ob Ansatz, Bewertung und Ausweis richtig sind. Dabei spielt offene und konstruktive Kommunikation eine sehr große Rolle, nicht umsonst gibt es die Pflicht auf Seiten des Mandanten, alle nötigen Auskünfte zu erteilen. Im Gegenzug verpflichten sich Wirtschaftsprüfer*innen umfangreich zur Verschwiegenheit. Nur so kommen wir schnell und ohne viele Schleifen zu einem guten Ergebnis.

Wer sind in den Unternehmen die ersten Ansprechpartner*innen für Wirtschaftsprüfer*innen?

Das sind überwiegend die Mitarbeiter*innen der Finanz- oder Buchhaltungsabteilung sowie der internen Revision und dann natürlich die Geschäftsführung und etwaige Kontrollgremien wie Beiräte und Aufsichtsräte. Das Spannende an dem Beruf ist aber, dass sich der Kontakt nicht auf diese Bereiche des Unternehmens beschränkt. So erwerben Prüfer*innen im Rahmen von sogenannten Prozessaufnahmen ein tiefes Verständnis des Unternehmens, indem sie sich mit relevanten Ansprechpartner*innen von Key-Prozessen austauschen. Das bedeutet beispielsweise auch, dass Prüfer*innen mit Mitarbeiter*innen aus dem Vertrieb oder Marketing kommunizieren, wenn das für das Verständnis des Prozesses wichtig ist. Im Rahmen der Inventurbeobachtung geben einem die entsprechenden Expert*innen zudem Einblicke in die Produktion und Lagerhaltung des Unternehmens.

Entsteht hierbei ein kollegiales Miteinander?

Wenn die Chemie zwischen den handelnden Personen stimmt, kann auch ein professionelles Arbeitsverhältnis entstehen. Dieses ist aber immer davon geprägt, dass Wirtschaftsprüfer*innen nur für einen begrenzten Zeitraum beim Mandanten tätig sind und sie insbesondere die Regeln der Unabhängigkeit zu beachten haben. Das heißt aber nicht, dass man sich mit den Mandant*innen nicht gut verstehen und auch mal gemeinsam lachen kann. Beruflich macht dieses kollegiale Miteinander oftmals Sinn, da das Vertrauen zu den Wirtschaftsprüfer*innen die Kommunikation gerade bei komplexen Themen enorm erleichtern kann.

Dürfen persönliche Beziehungen zu Mitarbeiter*innen des Mandanten entstehen?

Grundsätzlich ist das möglich und erlaubt. Gleichwohl müssen Wirtschaftsprüfer*innen immer darauf achten, dass das persönliche Verhältnis keinesfalls ihre berufliche Integrität, Unabhängigkeit und Professionalität beeinträchtigt. Das bedeutet unter dem Strich auch, dass es Grenzen bei persönlichen Beziehungen gibt.

Wo würden Sie persönlich die Grenze ziehen?

Bei der Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer gehören Unabhängigkeit und Professionalität zu meinen höchsten berufsethischen Werten. Kommt es zu Geschenken oder Einladungen, ziehe ich persönlich die Grenze deshalb dort, wo mein Urteilsvermögen oder meine Fähigkeit, objektiv und unabhängig zu handeln, beeinträchtigt werden könnte.

In Übereinstimmung mit den beruflichen Richtlinien und ethischen Standards akzeptiere ich somit lediglich Einladungen, die keinen Einfluss auf meine Prüfungstätigkeiten haben oder den Anschein erwecken könnten, meine Unabhängigkeit sei gefährdet. Beispielsweise könnten angemessene Einladungen zu Geschäftsessen oder Firmenevents, die den üblichen Geschäftspraktiken entsprechen, akzeptabel sein.

Bei höherwertigen Geschenken, wiederkehrenden Einladungen oder anderen Anreizen, die meine Unabhängigkeit oder Objektivität in Frage stellen könnten, lehne ich höflich ab und vermittle meinem*r Mandant*in die hohe Bedeutung, die verantwortungsbewusstes Handeln für mich als Wirtschaftsprüfer hat, und welche ethischen Standards ich einhalten muss.

Frischer Blick oder Überblick: Wann Prüfungsrotationen sinnvoll sind

Bei Public Interest Entities (PIEs) versucht man eine kritische Distanz zu gewährleisten, in dem der Gesetzgeber die Mandatsdauer beschränkt und für die Mandatsvergabe alle zehn Jahre eine öffentliche Ausschreibung vorsieht – der richtige Weg?

Eine Prüferrotation kann die Prüfqualität verbessern, weil man mit einem frischen, unvoreingenommenen Blick auf das Unternehmen schaut. Praktisch sind Wirtschaftsprüfer*innen aber insbesondere bei Erstprüfungen immer wieder in einer besonderen Situation: Sie kennen das Unternehmen, die internen Abläufe und das Geschäftsmodell noch nicht so gut und müssen sich erst zurechtfinden. Das erhöht die prüferischen Risiken und meist auch den Aufwand, was dann wiederum den Nutzen für die Stakeholder reduzieren kann. Ein Unternehmen, das vor einem Prüferwechsel steht, verfolgt in der Regel aber das übergeordnete Ziel, einen möglichst reibungslosen Übergang hinzubekommen. Hierfür entwickeln wir bei Mazars maßgeschneiderte Transition-Konzepte, die einen störungsfreien Wechsel des Prüfungsteams ermöglichen.

Wie bewerten Sie denn das Verfahren der Prüferrotation – sollte es vielleicht sogar auf andere Mandantengruppen übertragen werden?

Aufgrund der beschriebenen Vor- und Nachteile sollte man sich gut überlegen, für welche Mandantengruppen solche spezifischen Anforderungen wirklich Sinn ergeben. Bei kleineren Unternehmen und Unternehmen, die eine untergeordnete Relevanz für das Gesamtsystem haben, erscheinen die Nachteile der Rotation höher als ihr tatsächlicher Nutzen. Zudem spricht eine praktische Erwägung gegen eine Ausweitung der Prüferrotation: Aufgrund des Fachkräftemangels sowie der stetig steigenden Anforderungen an den Beruf sind Wirtschaftsprüfer*innen rar gesät. Die Komplexität und den Aufwand künstlich zu erhöhen, indem man die Prüferrotation ausweitet, halte ich vor diesem Hintergrund für gewagt.

Anders sieht es aus meiner Sicht bei PIEs aus, weil das öffentliche Interesse hier ein so hohes Gewicht hat, dass der durch die Prüferrotation entstehende Mehraufwand gerechtfertigt erscheint. Allerdings hat die Einführung der Rotation mangels entsprechender regulatorischer Vorgaben zu einer erhöhten Marktkonzentration geführt. So werden zwar langjährige Beziehungen zwischen Prüfungsgesellschaft und Unternehmen im Interesse der Unabhängigkeit verhindert, aber im Segment der PIEs wurde keine Marktvielfalt im Interesse des Wettbewerbs bewirkt.

Wie könnte einer solchen Marktkonzentration entgegengewirkt werden?

Abhilfe könnte ein regulatorischer Rahmen schaffen, der gleichzeitig zu einer Erhöhung der Prüfungsqualität beiträgt. Ein Beispiel wäre das Joint Audit: Hier wählt der Mandant zwei WPG aus, die zusammenarbeiten. Durch eine phasenverschobene Rotation verringert sich nach meiner Einschätzung der Mehraufwand aus Erstprüfungen. Gleichzeitig fördert das Joint Audit die Vielfalt im Markt .


Vielen Dank für das Gespräch.

Mehr zum Thema: Wer kontrolliert die Kontrolleure? Compliance bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften


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