Macht Künstliche Intelligenz Wirtschaftsprüfer*innen überflüssig?

Digitalisierung & Innovation
5. März 2024

Künstliche Intelligenz (KI) erobert immer mehr Anwendungsbereiche. Auch in der Wirtschaftsprüfung kommen die intelligenten Systeme bereits zum Einsatz. Werden sie Wirtschaftsprüfer*innen aus Fleisch und Blut einmal überflüssig machen? Oder gibt es Grenzen für den Einsatz der smarten Tools?

Sie erstellen Texte, beantworten Fragen, verfassen Musikstücke, malen Bilder im Stile Vincent van Goghs und erledigen zunehmend auch die Steuererklärung und die Finanzbuchhaltung. Ihre Einsatzmöglichkeiten scheinen unbeschränkt – und doch steht die Technologie noch ganz am Anfang. Die Rede ist von generativer Künstlicher Intelligenz oder sogenannten Large Language Models, die zunehmend auch in der Wirtschaftsprüfung eingesetzt werden, in erster Linie, um Prüfungsroutinen zu automatisieren.

Die Entwicklung der Technologie verläuft rasant, ihr Zukunftspotenzial ist gewaltig. Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis die KI den Prozess komplett übernimmt und sich Wirtschaftsprüfer*innen einen neuen Job suchen müssen? Um diese Frage seriös zu beantworten, reicht es nicht aus, nur auf die erwartbaren Möglichkeiten zu schauen, die uns die Maschinen vielleicht eröffnen werden. Wichtiger ist es in diesem Zusammenhang, sich mit den Grenzen der KI auseinanderzusetzen.

Beschränkung auf den Bereich historischer Datenauswertungen

Um diese Grenzen zu verstehen, muss man zuallererst begreifen, dass KI-Systeme ausschließlich mit historischen Datensätzen trainiert werden. Entsprechend stark sind sie bei Anwendungen, bei denen es darum geht, statistische Elemente aus der Vergangenheit zusammenzufassen, auszuwerten und daraus Herleitungen für das Hier und Jetzt zu ziehen oder dieses Wissen aus der Vergangenheit in die Zukunft zu projizieren. Liegen hingegen keine brauchbaren Daten zur Beantwortung einer aktuellen Aufgabenstellung vor oder lassen sich aus den vorhandenen Quellen keine sinnvollen Rückschlüsse ziehen, stößt die KI an ihre Grenzen.

Der Mensch muss also immer dann übernehmen, wenn aus Vergangenem nicht oder nur eingeschränkt auf Zukünftiges geschlossen werden kann. Da, wo es zu neuen, zu ersten Entscheidungen kommt, kann uns die Maschine nicht weiterhelfen. Hierbei geht es nicht nur um die großen Menschheitsfragen, der Alltag von Wirtschaftsprüfer*innen ist voll von kleinen Ereignissen und Entscheidungen dieser Art.

Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein*e Mandant*in führt einen Rechtsstreit, für den es keinen Präzedenzfall gibt. Die Maschine kann nicht bewerten, ob die Rückstellungen, die der*die Mandant*in gebildet hat, angemessen sind – es gibt ja keine historische Datengrundlage für eine solche Rechenoperation. Wirtschaftsprüfer*innen haben hingegen die Möglichkeit, eine entsprechende Einschätzung vorzunehmen. Wenn nötig, können sie den*die Mandant*in dazu vorab befragen und spezifische Sachverhalte mit ihm diskutieren: Welche Faktoren hat er*sie bei der Berechnung der Rückstellung berücksichtigt? Ist der Rückgriff auf diese Faktoren angemessen? Kann die Herangehensweise insgesamt als plausibel beurteilt werden? Für Entscheidungen dieser Art benötigen Prüfer*innen Abstraktionsvermögen, Menschenkenntnis und natürlich ihren prüferischen Sachverstand. Eine Maschine kann diese Aufgabe nicht für sie übernehmen.

Auf Halluzinationen können sich Prüfer*innen nicht verlassen

Ein weiteres Problem ist die Verlässlichkeit der Ergebnisse, welche die KI zutage fördert. Als gesichert gilt die Neigung der Systeme zu „halluzinieren“, wenn ihre Datengrundlage für die Bearbeitung des entsprechenden Sachverhalts unzureichend ist. Da viele KI-Tools keine Quellenangaben zur Verfügung stellen und auch sonst keine Möglichkeit bieten, um den Wahrheitsgehalt ihrer Ergebnisse zu bewerten, sind die Ergebnisse für die Wirtschaftsprüfung kritisch zu hinterfragen und von den Wirtschaftsprüfer*innen auf die Angemessenheit und Richtigkeit der Antwort zu beurteilen. Ein*e Wirtschaftsprüfer*in kann sein*ihr Testat schließlich nur dann ausstellen, wenn er*sie sich hinreichend sicher ist und ausschließen kann, dass die verwendeten Ergebnisse unzutreffend sind. Es zeigt sich somit, dass die Lösungen und Resultate der intelligenten Systeme immer noch einer Bewertung durch den Menschen bedürfen. Keinesfalls kann eine halluzinierende KI deshalb eine*n Wirtschaftsprüfer*in ersetzen.

Ohne ethisches Bewusstsein keine prüferische Verantwortung

Wirtschaftsprüfer*innen lassen sich bei ihrer Arbeit von ihrem ethischen Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Mandant*innen, aber auch gegenüber der breiteren Öffentlichkeit leiten. Zudem wissen die Prüfer*innen, dass Verstöße gegen ethische Normen nicht nur rechtliche Konsequenzen haben, sondern auch den Ruf der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und des gesamten Berufsstandes beeinträchtigen. Die damit verbundene Verantwortung kann den Wirtschaftsprüfer*innen jetzt und in Zukunft niemand abnehmen – schon gar nicht ist dazu eine Maschine in der Lage, die nicht über ein ethisches Bewusstsein verfügt.

Vertrauen entsteht durch Beziehungen – von Mensch zu Mensch

Für Aufsichtsrät*innen ist es nicht immer leicht, die Kompetenzen eines*einer neu bestellten Abschlussprüfer*in vollends einzuschätzen. Was daher hilfreich ist, ist ein Gefühl des Vertrauens, das sich gegenüber dem*der neuen Prüfer*in einstellen kann. Hat sich dieses Vertrauen einmal etabliert, kann es für den weiteren Prüfungsverlauf kaum hoch genug eingeschätzt werden. Auch hier hätte die KI deutliche Defizite, wollte sie an die Stelle der Wirtschaftsprüfer*innen treten und statt ihnen vertrauensbildende Maßnahmen einleiten.

Es connecten halt zuallererst Menschen mit anderen Menschen – ihnen gegenüber stellt sich so auch deutlich eher das Gefühl des Vertrauens ein als gegenüber einer Maschine. Die gute Nachricht: Es werden Lösungen auf der Basis intelligenter Tools sein, die es den Prüfer*innen ermöglichen, die Arbeit mit den Mandant*innen in Zukunft deutlich zu vertiefen. Denn sobald die KI ihnen Routinearbeiten abnimmt, kann der*die Wirtschaftsprüfer*in die hierdurch eingesparte Zeit in den Austausch mit seinen*ihren Mandant*innen investieren – und zwar von Mensch zu Mensch.

Fazit: KI kann Wirtschaftsprüfer*innen nicht ersetzen, aber ergänzen

KI ist eine fantastische Technologie, die sich immer mehr Arbeits- und Lebensbereiche erschließen wird. Gleichwohl werden Maschinen aufgrund ihrer technologisch begrenzten Möglichkeiten wahrscheinlich nur Teile abarbeiten können, die Gesamtverantwortung verbleibt voraussichtlich bei den Menschen: Ohne dass Menschen die Technologie bewerten oder im Nachgang die Resultate der KI kontrollieren, werden die Ergebnisse nicht verwertet werden können. Es sind vor allem ihre Defizite beim Umgang mit neuen Themen, die Unzuverlässigkeit ihrer Resultate, das fehlende ethische Bewusstsein der Maschinen und die mangelnde Fähigkeit, vertrauensvolle Beziehungen mit Menschen aufzubauen, die die KI limitieren. Vor diesem Hintergrund ist es kaum vorstellbar, dass KI Wirtschaftsprüfer*innen in absehbarer Zukunft ersetzen oder überflüssig machen wird. Allerdings werden Menschen mit einer guten KI als Werkzeug effizienter und erfolgreicher sein als eine KI oder ein Mensch allein. Das eigentliche Zukunftsthema lautet daher nicht „Mensch oder Maschine?“, sondern „Mensch plus Maschine“.

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