Mit Transparenz und Vertrauen zur neuen deutschen Datenkultur

Digitalisierung & Innovation
22. August 2023

Daten gelten als das Öl der Zukunft, wenn nicht der Gegenwart. Das hat nicht zuletzt der Hype um ChatGPT noch einmal deutlich gezeigt. Doch nicht alle Gesellschaften profitieren gleichermaßen von der neuen Ressource. Nur Länder, die einen intelligenten Umgang bei der Nutzung von Daten entwickeln, erzielen den gewünschten wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat deshalb in einem neuen Positionspapier dargelegt, wie ein solcher intelligenter Umgang auch in Deutschland aussehen könnte. Eine zentrale Rolle kommt hierbei den Wirtschaftsprüfer*innen zu.

ChatGPT hätte es im Grunde nicht gebraucht, um die Bedeutung von Daten zu unterstreichen – dafür haben datengetriebene Unternehmen wie Google, Facebook und Co. bereits gesorgt. In Zukunft werden Daten weitere wichtige Bereiche revolutionieren. Sie werden Produktionsprozesse stärker automatisieren und sie dabei effizienter und nachhaltiger machen. Datenbasierte KI wird uns auch mehr und mehr Aufgaben in Beruf und Alltag abnehmen – von der Text- und Konzepterstellung über das Verfassen der Steuererklärung bis hin zu den selbstfahrenden Autos, die KI für uns steuern wird. Zudem werden schon jetzt Produkte und Dienstleistungen immer zielgerichteter auf einzelne Personengruppen oder sogar Individuen zugeschnitten. Das betrifft nicht nur scheinbar banale Anwendungsfelder wie den jeweils passenden Kredit oder eine maßgeschneiderte Versicherung. Bereits heute schneiden Expert*innen durch die Auswertung von Gesundheitsdaten Medikamente, Therapien und Diagnoseverfahren passgenau auf einzelne Patient*innen zu. Das bedeutet in vielen Fällen eine schonendere Behandlung und einen besseren Therapieerfolg.

Breiter Konsens beim Blick auf die Ziele

Dass Datennutzung eine zentrale Rolle für Fortschritt und Wettbewerbsfähigkeit darstellt, darüber gibt es unter Expert*innen weitgehend Übereinstimmung. Auch in der Politik hat sich die strategische Bedeutung von Daten längst herumgesprochen. So will die Europäische Kommission einen europäischen Binnenmarkt für Daten etablieren, um so den Fortschritt anzukurbeln. In der Datenstrategie der Bundesregierung vom Januar 2021 ist sogar die Rede davon, Deutschland zu einer „Datengesellschaft“ weiterzuentwickeln. Wie das gelingen soll, hat die Bundesregierung nur ein halbes Jahr später in ihrer „Open Data Strategie“ skizziert. Eine Vorreiterrolle soll demnach dem Staat und seinen Initiativen zufallen. Weitere regierungsnahe Dialogformate folgten, die immer wieder Wege zu einer neuen Datenkultur aufzeigen und damit die Chancen für Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Ökologie und eine effizientere Verwaltung einlösen wollten.

Auch das IDW-Positionspapier „Daten – Chancen für Staat und Gesellschaft“ unterstützt im Wesentlichen die von der Politik definierten Ziele. Deutschland kann demnach auf den Gebieten internationaler Wettbewerb, Innovation, energetische Transformation, Klimaschutz, aber auch beim Blick auf das langfristige Funktionieren seiner Demokratie nur unter einer zentralen Bedingung langfristig erfolgreich sein: Es muss laut IDW die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Daten in verantwortlicher Art und Weise umfänglicher genutzt werden können.

In Deutschland klafft eine Ist-Soll-Lücke

Der breite Konsens kann hingegen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich beim Blick auf die breitere Datenverarbeitung eine erhebliche Ist-Soll-Lücke auftut. Denn internationale Vergleichsstudien haben immer wieder gezeigt, dass gerade Deutschland bei Digitalisierung und Datennutzung eher die hinteren Ränge belegt. Statt der notwendigen Offenheit und Transparenz  gegenüber dem Thema herrschen in der Bevölkerung hierzulande Unsicherheit oder sogar Ignoranz vor, wenn es um Daten geht.

Dass es nicht nur die restriktive DSGVO ist, die es hiesigen Unternehmen schwer bei der Datennutzung macht, zeigen die EU-Mitglieder wie Schweden und Dänemark. Gerade Dänemark gilt auch auf internationalem Level als Vorbild im so wichtigen datengetriebenen Gesundheitsbereich. Während Deutschland nach wie vor von einer Faxkultur geprägt ist, ist dort die Datennutzung für das landesweite E-Health-Portal längst Standard. Eine Bertelsmann-Studie von 2018 hat die wesentlichen Erfolgskriterien des Dänischen Modells herausgearbeitet. Sie liegen vor allem im großen Vertrauen der Bevölkerung in die Kompetenzen des Staates bei der Datennutzung, im Wissen der Bevölkerung um die digitalen Angebote und in der Bereitschaft, diese auch zu nutzen.

Grenzen durch das deutsche Persönlichkeitsrecht

Doch es ist nicht der Mindset allein, der Deutschland bei der Gewinnung des Öls der Zukunft hinterherhinken lässt. Auch das deutsche Rechtsverständnis schränkt eine umfassendere Nutzung von Daten – vor allem den sensiblen personenbezogenen Daten – stärker ein als anderswo. So berührt der Umgang mit personenbezogenen Daten in Deutschland das Persönlichkeitsrecht beziehungsweise das Recht nach informationeller Selbstbestimmung. Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung solcher Daten ist somit nur nach ausdrücklicher Einwilligung des/der Einzelnen erlaubt. Anders in den USA: Hier gelten in der Regel diejenige als Besitzer der Daten, die diese erheben. Kliniken können auf diese Weise relativ leicht Patientendaten akkumulieren und aus den Daten Rückschlüsse etwa auf die Wirksamkeit von Therapien ziehen. Der Nachteil: Da die amerikanische Regierung weitreichende Zugriffsrechte auf alle Daten hat, die auf amerikanischen Servern gespeichert sind, sinkt das allgemeine Vertrauen in die Datensicherheit der USA. Viele internationale Partner sehen daher von einem Transfer ihrer Daten in die Staaten ab.

Wirtschaftsprüfer*innen sollen Vertrauen bei Stakeholdern schaffen

Wie wichtig das Thema Vertrauen gerade in Europa ist, hat das dänische Beispiel gezeigt. Will man also auch in Deutschland breite Schichten für einen offeneren Umgang bei der Verarbeitung anonymisierter Daten gewinnen, kommt man ohne ein entsprechendes Grundvertrauen nicht weit. Vor diesem Hintergrund macht das IDW in seinem Positionspapier zwei zentrale Vorschläge, um die nötige Transparenz mit dem Wunsch einer umfassenderen Datennutzung zu vereinen:

  1. Um eine stärkere Flexibilität bei der Datennutzung durch die Unternehmen, die Wissenschaft, die Politik und andere Akteure zu erreichen, sollen diese verpflichtet werden, jeweils eigene, dynamische Codes of Conducts zu erarbeiten. Hierin sollen sie unter anderem darlegen, wie sie die Datensicherheit und weitere Schutzziele gewährleisten. Sie sollen im Bereich Datenschutz aufzeigen, wie sie die vollständige Anonymisierung der Daten sicherstellen. Und sie sollen drittens das Dateneigentum thematisieren, so dass jede/r Bürger*in explizit weiß, wem die genutzten Daten letztlich gehören.
  2. Wirtschaftsprüfer*innen könnten im Anschluss eine unabhängige Prüfung der Akteure und ihrer Codes of Conduct im Sinne der Stakeholder durchführen. Im Fokus stehen die oben aufgeführten Maßnahmen zu Datensicherheit, Datenschutz und Dateneigentum. Auch sollten die Prüfer*innen bewerten, ob die jeweilige Datenerhebung und -verarbeitung im Hinblick auf den Zweck angemessen erscheint. Die Ergebnisse würden in einen Prüfungsbericht münden, der Dritten einen Einblick in die Datenkultur des geprüften Akteurs ermöglicht – und das, ohne dabei vertrauliche Informationen weiterzugeben.

Fazit: So profitiert Deutschland vom Öl der Zukunft

Laut IDW ließe sich durch das beschriebene Vorgehen nicht nur ein hohes Maß an Transparenz und Sicherheit im Umgang mit Daten erreichen. Es würde auch zu einem breiten Einverständnis der Bürger*innen bei der Weitergabe anonymisierter Daten beitragen. Auf diese Weise würden Staat, Gesellschaft und Unternehmen auch in Deutschland vom Öl der Zukunft profitieren. Innovative Unternehmen müssten nicht mehr abwandern, um in datenliberaleren Ländern zu forschen. Und wer weiß, vielleicht kommt so die neue revolutionäre KI eines Tages sogar aus Deutschland.


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