Neues Marktdesign für mehr Vertrauen bei der Wirtschaftsprüfung

Reform & Debatte
23. Januar 2024

Der Wirecard-Skandal war nicht nur eine Katastrophe für die Anteilseigner*innen, er hat auch der Reputation der Wirtschaftsprüfungs-Branche und des Wirtschaftsstandorts Deutschland geschadet. Wie sich mit einem neuen Marktdesign und dem Vier-Augen-Prinzip das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen lässt, zeigt jetzt eine aktuelle Studie.

Seit der Wirecard-Insolvenz hat sich bereits einiges getan, um vergleichbare Bilanzskandale in der Zukunft abzuwenden. So hat der Deutsche Bundestag im Mai 2021 das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) mit dem Ziel verabschiedet, das Vertrauen in den Finanzmarkt zurückzugewinnen. Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung das Thema zudem in der aktuellen Legislaturperiode erneut auf die Tagesordnung setzen, um insbesondere für mehr Wettbewerb im Abschlussprüfungsmarkt zu sorgen. Doch nicht nur in Deutschland hat man erkannt, dass weiterer Reformbedarf nötig ist. So hat auch die Europäische Kommission 2021 eine Initiative zur Verbesserung der Qualität der Unternehmensberichterstattung angestoßen.

Dass die Branche so stark im Fokus der Regulierer steht, ergibt sich aus der besonderen Rolle, die der Wirtschaftsprüfung in Wirtschaft und Gesellschaft zukommt: Sie ist es, welche die Ordnungsmäßigkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit der Finanzinformationen gewährleistet und ist damit ein Garant für die Finanzstabilität auf den Märkten. Aktionär*innen, Lieferant*innen, Kund*innen, aber auch Mitarbeiter*innen – sie alle vertrauen auf das Testat der Abschlussprüfung und treffen auf dieser Basis ihre eigenen wirtschaftlichen Entscheidungen. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (WPG) stehen deshalb nicht nur ihren Mandant*innen gegenüber in der Pflicht, sondern übernehmen vielmehr eine zentrale öffentliche Aufgabe. Bilanzskandale erschüttern dieses Vertrauen und zeigen gleichzeitig eine Fehlleistung der ansonsten gut funktionierenden Mechanismen auf dem Wirtschaftsprüfungsmarkt auf.

Oligopol verhindert echten Wettbewerb

Doch welche Maßnahmen sind es konkret, mit denen sich die Marktmechanismen verbessern lassen und die somit geeignet sind, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen? Das zeigt jetzt die Studie „Reformoptionen für die Wirtschaftsprüfung“, die Prof. Dr. Justus Haucap mit Mitarbeiterinnen der Düsseldorf Competition Economics (DCE) GmbH im Auftrag von Mazars erstellt hat. Schon in seiner Vorgängerstudie aus dem Jahr 2022 hat DCE die strukturellen Probleme des Wirtschaftsprüfungsmarkts herausgearbeitet. Demnach ist es vor allem das Oligopol der vier größten WPG (Big 4), das Probleme bereitet. Es verhindert wirksamen Wettbewerb und schränkt vor allem Unternehmen von öffentlichem Interesse (sogenannte Public Interest Entities, kurz PIEs) bei der Wahl ihrer WPG ein. Ursache sind Markteintrittsbarrieren für kleine und mittlere WPG und regulatorische Maßnahmen, die übrigens nicht zuletzt mit dem FISG eingeführt wurden.

In der aktuellen Studie kommen die Studienautor*innen sogar zu dem Schluss, dass die Marktkonzentration noch zunehmen könnte. Auslöser könnte die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sein, welche die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen in der EU regelt. Noch ist unklar, wer die Nachhaltigkeitsberichte prüfen soll. Einer der Vorschläge ist aber, dass die „Prüfung aus einer Hand“ erfolgen, sich also der Abschlussprüfer auch um die nichtfinanzielle Berichterstattung kümmern soll. Setzt sich dieser Ansatz durch, würden kleinere und mittelständische WPG noch stärker ins Abseits gedrängt und die Marktkonzentration entsprechend steigen – die Wettbewerbsintensität nähme weiter ab.

Ganzheitliches Konzept für mehr Qualität und Wettbewerb

Diese Ausgangslage führt die Autor*innen der aktuellen DCE-Studie zu dem Schluss, dass Einzelmaßnahmen den Markt nicht in die gewünschte Richtung zu mehr Qualität und Wettbewerb leiten würden. Stattdessen braucht es aus ihrer Sicht ein neues und ganzheitliches Marktdesign: Es muss die Bedürfnisse der Unternehmen, der WPG und des Staates miteinschließen. Die Anforderungen, die die Unternehmen auf der Nachfrageseite an ihre Abschlussprüfer stellen, beziehen sich unter anderem auf die internationale Präsenz, Expertise, Erfahrungen, Reputation und die Preisgestaltung. Eines der zentralen Interessen der WPG ist es hingegen, dass ihre Investitionen planungssicher und kalkulierbar bleiben. Der Staat als Wahrer des öffentlichen Interesses steht im DCE-Konzept schließlich für den allgemeinen gesellschaftlichen Wunsch nach verlässlichen Finanzinformationen und einem vielfältigen, wettbewerbsorientierten Markt.

Schon ein erster Blick auf die unterschiedlichen Interessenslagen der drei maßgeblichen Akteure verdeutlicht die strukturelle Unwucht, die das aktuelle Marktgeschehen kennzeichnet: Kleinere und mittlere WPG scheuen den Aufbau von Kapazitäten, die es braucht, um sich die geforderte Reputation und internationale Erfahrung anzueignen, die die Unternehmen bei der Vergabe ihres Prüfungsmandats immer schon voraussetzen. Auf diese Weise verfestigt sich die Stellung des Oligopols und damit der „Lack of Choice“ für die Unternehmen bei der Auswahl ihres Abschlussprüfers. Das allgemeine (staatliche) Interesse an einem wettbewerbsorientierten Markt steckt in der strukturellen Klemme des Henne-Ei-Problems.

Vier-Augen-Prinzip im Zentrum der Reform

Eine Reform des Marktdesigns muss also Regeln und Anreize setzen, die geeignet sind, die Funktionsdefizite des Wirtschaftsprüfungsmarktes nach und nach abzubauen. Genau das ist das Ziel des DCE-Konzepts. Kern und Gravitationszentrum dieses Choice & Quality Frameworks stellt die Prüfung nach den Prinzipien des Joint Audits dar. Beim Joint Audit verpflichtet der Gesetzgeber die Unternehmen, die Abschlussprüfung nicht in die Hände nur einer WPG zu legen, sondern den Prüfungsumfang ausgeglichen an zwei WPG zu verteilen. Der Vorteil des Verfahrens: Das Vier-Augen-Prinzip, das die Prüfungsqualität am ehesten zu erhöhen verspricht. Grund hierfür sind die sogenannten Cross-Reviews, welche die doppelte Qualitätsprüfung durch zwei verschiedene Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für den gesamten Prüfungsprozess garantieren.

Das verpflichtende Joint Audit würde aber auch dazu beitragen, die strukturellen Defizite im Markt aufzubrechen. Da die kleineren und mittleren WPG durch das Joint Audit damit rechnen könnten, in die Abschlussprüfungen auch der PIEs miteinbezogen zu werden, würde es sich für sie lohnen, in die dazu notwendigen Voraussetzungen und Vorhaltekapazitäten zu investieren. Unerheblich sind die Investitionen gleichwohl nicht, die in IT-Strukturen, Prüfungs-Tools, Human Resources, die internationale Präsenz und Qualitätsmanagement-Systeme gesteckt werden müssen, um die Erwartungen und Anforderungen der PIEs zu erfüllen. Als Partner im Rahmen des Joint Audits würden die kleineren WPG dann aber die gewünschte Reputation und die Erfahrung erwerben, die sie für kommende Mandate empfehlen würde. Das verpflichtende Joint Audit würde so den Knoten lösen, der die Weiterentwicklung des Marktes aktuell nach wie vor blockiert.

Haftungsfragen noch ungeklärt

Die Einführung des skizzierten Choice & Quality Frameworks mit dem Joint Audit als Kern wirft jedoch zahlreiche weiterführende Fragen auf. Eine davon ist die zum Thema „Haftung“. Wie zentral dieser Punkt ist, haben schon die durch das FISG eingeführten Haftungsverschärfungen gezeigt: Sie haben nicht nur zu erhöhten Versicherungsprämien und damit zu höheren Honoraren geführt, kleine und mittelgroße WPG haben sich aufgrund hoher Kosten und Risiken auch komplett vom PIE-Geschäft zurückgezogen. Ein sachgerechtes Haftungsregime sollte deshalb eine Versicherung zu vertretbaren Bedingungen gewährleisten. Da beim Joint Audit sowohl der primäre als auch der sekundäre Abschlussprüfer haften, kann es zudem sinnvoll sein, die Höhe der Haftungssumme an der Größenordnung des jeweiligen Mandats beziehungsweise des jeweiligen Honorars auszurichten.

Nachhaltigkeitsberichterstattung darf Oligopol nicht verfestigen

Im Kern zielt das Choice & Quality Framework darauf ab, die Marktanteile kleinerer und mittelständischer WPG zu erhöhen, um auf diese Weise die Qualität und Anbietervielfalt zu erhöhen. Wie oben erwähnt, könnte sich hierbei die Umsetzung der CSRD als kontraproduktiv erweisen. Aus Sicht der Unternehmen mag die „Prüfung aus einer Hand“, also die Prüfung des Konzern-/Jahresabschlusses und der Nachhaltigkeitsberichte durch denselben Abschlussprüfer, zunächst sinnvoll erscheinen. Doch den hierdurch erhofften Synergieeffekten steht eine abermalige Marktkonzentration der Big 4-WPG gegenüber – mit allen gezeigten Nachteilen für die Stakeholder*innen. Vor diesem Hintergrund kann es für die Mitgliedsstaaten von Vorteil sein, die sogenannte „Öffnungsklausel“ anzuwenden und die nichtfinanzielle Prüfung für andere Wirtschaftsprüfer zu öffnen. Die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte würde so weiterhin von kompetenten Wirtschaftsprüfern durchgeführt – aber eben von kleineren und mittelgroßen WPG.

Fazit: Der Gesetzgeber ist am Zug

Eine höhere Anbietervielfalt auf dem Wirtschaftsprüfungsmarkt kann die Systemrisiken reduzieren, die aus einem Skandal à la Wirecard oder gar dem Zusammenbruch einer Big 4-WPG resultieren können. Die Einführung von Joint Audits allein wird aber nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen. Sie muss deshalb durch zusätzliche Maßnahmen flankiert werden, die geeignet sind, die Marktstruktur insgesamt zu verändern. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber das Marktdesign so anpasst, dass Abschlussprüfer ihrer wichtigen gesellschaftlichen Rolle noch besser gerecht werden können.

Über die Studie

Die Studie „Reformoptionen für die Wirtschaftsprüfung“ ist am 18. Januar 2024 im Rahmen eines Events mit Livestream vorgestellt worden. Gäste der anschließenden Podiumsdiskussion waren Prof. Dr. Justus Haucap (Düsseldorf Competition Economics), Katharina Beck MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Sebastian Brehm MdB (CDU/CSU), Jella Benner-Heinacher (DSW, Better Finance) und Dr. Annette Messemer (Société Générale, Vinci). Der Studienreport kann hier heruntergeladen werden.


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